Sie haben wieder Ausgang…

Arme fuchtelnde, wilde, ungeschliffene Männer und Frauen, die sich gegen Abstand und Mund-Nasen-Bedeckung wehren.

Wir treffen sie in allen Medien und manchmal auch live in Straßen und auf Plätzen. Sie lieben das Rudeln. Sie wollen nicht allein sein. Leben im Jetzt ist angesagt.

„Wilde Männer“ und ebenso „wilde Frauen“ gab es schon vor Jahrhunderten. Sie lebten auf farbenfrohen Wandbehängen und sorgten für ein behagliches Wohnklima. Ihr Leben aber begann noch viel früher – als man die Verständigung verlor, als man den Turm zum Himmel in Babylon baute und als man den Nachbarn nicht mehr verstand, weil er bla-bla sprach. Es war die Geburtstunde der „Barbaren“.

Wer sind denn nun die Barbaren in unseren Tagen? Wir oder nur die anderen? Die anderen oder nur wir?

Eine Erscheinung, die wir in alten Büchern und aktuellen Medien finden können. Fällt uns da der mittelalterliche Henker ein, der religiös motivierte Kämpfer oder Halloween-Teilnehmer?

Vielleicht geben die künstlichen und künstlerischen Gestalten von Gunnar Klenke Hinweise, vielleicht sogar Antworten. Gunnar Klenke hat die „Wilden“ seit Jahren auf farbigen Leinwänden eingefangen. Sie leben gern an Ausstellungs- und Wohnraumwänden.

Ateliersituation

Gunnar Klenke (1956 in Rodewald, Kreis Nienburg geboren) schloss 1983 das Studium der Freien Kunst  in Hannover mit dem Diplom ab.

Zwischen 1979 und 1985 nahm er an acht wichtigen Projekten von „Kunst im öffentlichen Raum“ in Kiel, Frankfurt, Bremen und Hannover teil. Seit 1981 Ausstellungen in Deutschland, Dänemark, Norwegen, in Lausanne, Brande (DK), Oslo, Viborg (DK), Budapest, Dortmund, Hamburg und Hannover. 2001 eine vielbeachtete Ausstellung in Tel Aviv.

Gunnar Klenke beschäftigte sich nach dem Studium mit magischen Zeichen und Ritualen – aus allen Religionen, aus alten und neuen und meistens gewinnt er seine Erkenntnisse aus Büchern. Er schlüpft nicht in die Rolle der Gläubigen, der Beter, Sänger oder Weihrauchschwenker.

Verhältnis von Macht, Magie und Realität

„Ich bin da sehr synkretistisch“ meint Klenke – was ja meint: ich halte die Lehre nicht so rein, bei mir dürfen sich die Bedeutungen und Meinung durchaus überschneiden.

Als Künstler interessiert er sich weniger für religiöse Systeme, als vielmehr für das menschliche Verhalten, das mit dem Magischen ein Zeichensystem für das Unbekannte setzt.

Ateliersituation aus den 2010ner Jahren

Seine Gemälde und Zeichnungen haben keine Titel. Hätten sie Titel, wäre die Nähe zu einer Bedeutungsfixierung zu groß. Der Künstler will dem Betrachter lieber die Möglichkeit eigener Lösung und Er-Lösung lassen.

Seit 2015 hat Gunnar Klenke in Gesprächen immer wieder die „Wilden Männer“ erwähnt, behaarte Gestalten, die auf Tapisserien des späten Mittelalters zwischen Girlanden ein für uns  meist unverständliches und entrücktes Leben führen.

Liebevoll?
Liebestoll…?

Wild sehen die Männer und Frauen oftmals aus: sie waren immer ein Propagandainstrument oder ein frühes Selfie der Gesellschaft, denn das „Wilde“ an ihnen war sowohl das „Primitive“ wie auch das „Paradiesische“; sie galten als unkultiviert und zugleich als ungebunden und frei.

Die „Kämpfer“ des IS können wir in dieser Tradition sehen; der Blick auf sie schwankt auch zwischen Verachtung und Verehrung. Ihre Körperverhüllung und ihre stete Gottesverherrlichung durch formelhafte Worteinkleidung haben Teil an dem Mythos der Wilden Männer und der (weniger zahlreichen) Wilden Frauen.

In der europäischen und weltweiten Kulturgeschichte finden sich immer wieder Figuren, die den Bildern der Wilden Männer ähneln, beginnend mit der Figur  des Enkidu im Gilgamesch Epos (seit etwa 2.000 BC) über Esau im Alten Testament bis hin zu Shakespeares Caliban (Der Sturm) und den alemannischen Fastnachtsfiguren und den Historien der frühen Bergleute (Wildemann-Orte und -Häuser im Harz).

Die Tradition reißt nicht ab, sie bildet immer neue Ausprägungen der Gestalt. Behaarte Wilde können noch Abbilder unseres Ursprungs sein, vergleichbar den Schattenspielen in Platons „Höhlengleichnis“.

Ähnlichkeiten oder neue Realitäten?

Der Künstler Gunnar Klenke verbeißt sich nicht im Politischen, aber er vergisst die Nabelschnur unsers Lebens nicht, auch wenn sie aus dem Dunkel der Urzeit kommt.

Wenn Künstler sich mit den Zuständen in ihrer Zeit beschäftigen, dann schauen sie gerne zurück, gerne auch sehr weit zurück. So selbstverständlich uns die Bezeichnung „Renaissance“ ist, so gerne vergessen wir, dass es ein Rückblick in eine weit zurück liegende Zeit war. Der Blick zu den Griechen schweifte dabei etwa zweitausend Jahre in die Vergangenheit. Auch J.J. Winkelmanns Formulierung (1755/1764), von der edlen Einfalt und stillen Größe, die uns heute als Definition der Klassik geläufig ist,  basiert auf der Vorbildfunktion griechischer Kunst (auch wenn der Laokoon, bei dessen Beschreibung Winckelmann die Formulierung benutzte, vermutlich eine römische Kopie eines verschollenen griechischen Originals ist).

Vergangenheit und Zukunft sind im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext vor allem von geistigen und emotionalen Aspekten bestimmt, in der Gegenwart hingegen bestimmen vor allem ökonomische Aspekte.

Gunnar Klenke setzt sich mit einem Menschenbild auseinander, das die oberflächliche Zerrissenheit unserer Umbruchszeit (analoge zu digitaler Welt) und zugleich die starke Verwurzelung in tradierten Lebensgewohnheiten (sammeln, jagen, domestizieren) nebeneinander stellt. Ein ‚Sharkträger‘ verweist auf das Jagen zur Lebenserhaltung, der ‚maskenhafte Pilotenkopf‘ auf die künstliche Atmosphäre, die wir wegen der hochtechnologischen Fortbewegung um uns brauchen, der ‚Schirmhalter‘ auf den Schutz vor stark beeinträchtigender Natureinflüsse und der ‚vegetable-bone‘ Mann auf unsere nicht nur körperliche ‚Offenheit‘, sondern zugleich auf die Ersetzbarkeit von Knochen, Geweben und Organen.

Die einzelnen Zeichnungen und Gemälde sezieren unsere Welt, die wir ja nie als etwas Ganzes erleben, sondern immer nur als Ausschnitt. Die starke Gegensätzlichkeit der einzelnen Arbeiten verdeutlichen, dass hier keine Gesamtheit und keine Einheit beschworen wird.

Corona Kindertage

Corona-Spaziergänge mache ich, wie wir alle oder zumindest sehr viele, seit der Bewegungseinschränkung vor vier Wochen täglich. Ich erkunde die Ecken der Stadt, die gemeinhin nicht auf dem täglichen Bewegungsplan stehen. Ein historischer Allmende-Wald, der sich um unsere Innenstadt legt und ein Lauf- und Luftpolster für viele ist, hat seinen südlichsten Zipfel in angenehmer Entfernung.

Radfahrer, Fußgänger, Jogger, Mütter und Väter mit kleineren Kindern begegnen mir dabei. Und ich nahm auch sauber gelehnte oder gestapelte Äste wahr. Sie waren der Kontrast zu den wie achtlos liegen gelassenen grob geschnittenen Baumstämmen. Immer wieder verließ ich die Wege und stapfte  auf die Astgebilde zu. Sie erinnerten mich an die Hütten, die ich während meiner Kinderjahre  am Rande des Gartens und mit Freunden im nahen Wald baute. – Wer hatte sie hier angelegt? Die Waldarbeiter, deren Motorsägen ich immer wieder hörte, wohl eher nicht.

Ich sah und sehe die Gebilde, von denen ich gut ein Dutzend im Blickfeld von etwa 400 m entdeckte, als Hütten von spielenden Kindern an, eventuell auch als Schlafstellen von homeless, die sich ja auch gern solche Verstecke suchen. Dafür allerdings waren alle Hütten, die ich sah, zu unberührt.

Tatsächlich sah ich auch einen kindlichen Inspizienten bei einer der Hütten.

 

 

 

 

 

Jetzt, noch nach Tagen, erscheinen mir die Hütten wie ein von der Phantasie gebauter Spielplatz. Ich werde ihn nochmals besuchen.

Auf den Wegen durch die Stadt, aber auch vor meinen Fenstern entstanden weitere Kindheitserinnerungen: es wurde wieder mit Kreide auf Asphalt oder Steinen gemalt.

Als ich die ersten Pflastermalereien sah, waren die eigenen Versuche vor dem Elternhaus gleich wieder präsent; allerdings auch die Auflage der Mutter, am Abend mit Wassereimer und Schrubber die Malereien wieder zu tilgen. Leicht verwischt habe ich die aktuellen Malereien bei späteren Spaziergängen immer noch gesehen.

Mich erinnern manche der Pflastermalereien (wie dieses Beispiel) an Kirchenmosaiken aus dem 11. oder 12. Jahrhundert – Otranto fällt mir da als sehr gutes und interessantes Beispiel ein.

 

 

 

 

 

 

Die Straße als Raum für Betätigung wird aber nicht nur von Kindern und Jugendlichen entdeckt. Auch einer meiner Nachbarn stellte fest, dass Anregungen direkt vor der Haustür liegen können. Er nahm ein frisches T-Shirt, eine Pappe, Farbe und einen Pinsel und färbte einen eisernen Deckel vor dem Haus blau ein. Dann legte er das T-Shirt über diesen „Druckstock“, rieb kräftig und hatte ein neues Tattoo-Muster für die Brust.

 

 

 

 

Blick zurück – Rom vor eineinhalb Jahrzehnten (2005 + 2007)

August 2005 Migranten warten auf interessierte Kundschaft. Ob man sie heute auch noch so antrifft?

Der Rückblick geschah zufällig, beim Aufräumen von Bilddateien.

Aus der eigenen Verblüffung „So sah das damals aus?“ entstand eine kurze Bildstrecke zu zwei Aufenthalten in Rom. Es ist nur ein „Blick zurück“, für den „im Zorn“ steht eher eine Verwunderung.

Tagebucheintrag vom 15. August 2005

15.00 Uhr – pünktlich am 15.08. (Ferragosto) beginnt der Wetterumschwung. Von den bisher konstanten 30°C ist nichts zu spüren. Seit unserer Ankunft – ca. 8.00 am Flughafen, an der Filiberto gegen 10.00 Uhr – ist der Himmel wolkenverhangen und jetzt regnet es sogar.

Der Regen hielt nicht lange an…

Wir fuhren zur Einstimmung nach Trastevere. Das Café, das wir beim letzten Aufenthalt zweimal aufgesucht hatten, war geschlossen wegen ferie. Wir setzten uns ein paar Schritte weiter vor eine winzig kleine unscheinbare Bar. Jetzt waren die Tische durchaus auch mit Touristen besetzt. Der Café kostete € 1,20. Insgesamt war es sehr ruhig auf den Straßen, sehr viele Läden waren verschlossen. Wir gingen in die Kirche mit dem barocken „Paradies“, die gegenüber dem Café lag. Wir hatten sie schon beim letzten Rom-Besuch gesehen, sie aber nicht betreten, sie sah zu wenig alt aus.

Der Kirchenraum war licht und hoch; keine Enge. Ein Cosmaten-Fussboden, 22 römische Säulen aus Thermen des Settimus/Settimius und einer Naumachia (Seeschlacht in Amphitheatern) von Caesar, eine aufgebart Seelige, Beata Anna Maria Taigi, ein Museum für sie mit einer sehr lebendigen Portraitbüste von Pio Nono, eine Reliquienkapelle, einem schönen alten Taufbecken mit einem hölzernen Aufsatz (gehörten wohl nicht zusammen), einem byzantinisch wirkenden Marien Gemälde aus der Mitte der 1950er Jahren, ein sehr dunkles Chorgestühl und eine in unseren Tagen zu Ehren der 800 Jahrfeier des Ordens der Heiligen Dreieinigkeit ausgemalte Kapelle, sehr zentral links neben der Apsis gelegen.

Wir waren fast allein in der Kirche, hielten uns auch lange dort auf, der Sakristan schaute ein paar Mal im Hauptschiff nach uns, wohl irritiert von meinen Foto-Blitzen. Ein Amerikaner kam und fragte nach der Seeligen Taigi. Er kannte sich offensichtlich in ihrem Leben, vor allem aber auch in ihrem Nachleben aus.

Der Cosmaten-Fußboden wird in einem italienisch geschriebenen Faltblatt auf das 12. Jahrhundert datiert, in zwei Reiseführern auf das 11. oder 13. Jahrhundert.

Die Kirche ist dem hl. Crisogono geweiht, der unter Kaiser Diokletian enthauptet wurde. Dioklatian hatte versucht, mit der Wiedereinführung des Jupiter Kultes das System des römischen Reiches zu stabilisieren. Es gelang nur für wenig Jahre, denn anschließend betrat Konstantin die politische Bühne und unterstützte das Christentum.

Auch das Spielzeug will mal an die frische Luft

 

Farben als Lockmittel für Touristen an der Via Caetani

 

 

 

 

 

 

Blick vom Aventin

17.08.2005

Vom Aventin mit seinem herrlichen blick auf die Stadt gingen wir zwischen zwei hohen Mauern eine einsame Straße hinunter zur S. Maria in Cosmedin, eine weitere der einfachen, alten Kirchen. In ihrem Porticus steht der Bocca de la verita, bei dem junge Leute meistens Schlange stehen, um in den „Mund der Wahrheit“ ihre Hand zu stecken und sich fotografieren zu lassen. Die Kirche ist innen gänzlich eingerüstet.

Über die Via Teatro Massimo und einen Schlenker durch das nach links angrenzende Viertel in Richtung Pantheon kamen wir wieder in die Emanuele Filliberto.

 

18.08.2005

Um 14.00 Uhr stand (auf meinen Wunsch) nochmals ein Besuch in der Nekropole unter S.Peter auf dem Programm.

Nun habe ich zweimal Lenin in seinem Mausoleum und zweimal das Grab Petri gesehen – das reicht für ein Leben. Entgegen der Ankündigung war es keine englische, sondern eine deutsche Führung (7 Personen). Eine Ordensnovizin führte uns. Sie erzählte alles mit dem Herzblut ihres Glaubens und konnte dabei kaum die richtigen Worte finden. Es kostete sie schon große Anstrengungen von ihrem heimischen schweizerischen Dialekt in ein angemessenes Hochdeutsch zu wechseln, dann aber auch noch sachliche Erläuterungen für das zu finden, was für sie eine tiefe Herzensangelegenheit war, führte zu einem ständigen Stolpern. Weil sie glaubt, wurden für sie alle sachlichen oder wissenschaftlichen Möglichkeiten zu Gewissheiten. Ihren Ausführungen musste man entnehmen, dass das Petrus Grab geöffnet wurde und dass man auch Knochen, aber nicht im Grab, sondern in einer Nische daneben, gefunden und untersucht hatte. Die Ergebnisse ließen dann mit ihren Worten und ihrer Vorstellung einen Mann von 60-70 Jahren, etwa 170 cm groß, entstehen. Dieses Bild gab dann ihrem Glauben noch mehr Sicherheit. Für sie war die Annäherung an das Apostelgrab tatsächlich die Annäherung an das Zentrum ihres Glaubens. Ein schönes Beispiel für die apostolische Grundlage des Katholizismus.

soviel sollte man in Rom als Tourist einpacken

Das traditionsreiche Café Greco, Treffpunkt der Deutschen, erstaunlicherweise nicht überlaufen

 

 

 

 

 

 

 

Ein wenig Rückschau auf zwei interessante Daten

1759

Der württembergische Hofmaler Friedrich Wilhelm Beyer legt deutschen Fürsten den Plan zu einer deutschen Akademie in Rom vor.

Giov. Gaetano Bottari gibt Vasaris Lebensbeschreibungen der Künstler der Renaissance neu heraus.

(Mai) Winckelmann wird Bibliothekar des Kardinals Alessandro Albani (1692 bis 1779). 

1760

Gründung des Cafè Greco in der Via Condotti in Rom, nahe dem Spanischen Platz. Das Cafè entwickelt sich, besonders seit Ende des Jahrhunderts, zu dem wichtigsten Treffpunkt der deutschen Künstler.

eine ironische Installation auf blanken Quadern am Weg

14.04.2007     Mittwoch

Am Morgen sang eine Lerche irgendwo vor dem Schlafzimmerfenster. Sie erinnerte mit an Romeo und Julia.

Der Regen hatte aufgehört, aber der Himmel war trübe. Länger im Bett gelegen, Müdigkeit gefühlt, dann beim Frühstück gebummelt und anschließend Postkarten geschrieben. Nach der Mittagszeit zum Petersplatz, Briefmarken von der Vatikanischen Post für einen Teil der Karten gekauft, dann zu Fuß zum neuen Museum „Ara Pacis“, das auf dem gegenüberliegenden Tiberufer vor nicht allzu langer Zeit eröffnet wurde. Dort sind die Reste des Friedensaltars von Augustus in eine Rekonstruktion eingefügt. Es ist eine luftig inszenierte pädagogische Demonstration. Sie ist so pädagogisch wie trocken. Für Spezialisten mag das sehr spannend sein, für Halbgebildete schon längst nicht mehr. Eine imposante Architektur, die ihren Gestus auf das Ausstellungsgut übertragen muss.

Im Nieselregen von dort zur Kirche S. Maria del Popolo, die Chigi Kapelle ansehen. Die Kirche ist überfüllt mir barocken Elementen, daneben aber wie von aller Farbe entblättert. Ich wurde nicht warm beim aufmerksamen Durchgehen. Zwei Caravaccio Gemälde (Bekehrung des Saulus und Kreuzigung des Petrus) in einer Kapelle links vom Altar waren ungewöhnlich in ihren Sujetkompositionen, aber mit Caravaccios Sicht der Sujets habe ich so meine Schwierigkeiten. Gewissermaßen ohne Ergebnis von dort ein wenig kompliziert mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Wohnung zurück gefahren. Vorher im Minimarket eingekauft. Eine Flasche Wein durfte ich nicht kaufen, das war verboten, weil heute Abend das Championsleague Fußballspiel zwischen AS Rom und Manchester United =Manu im Olympiastadion war. Man hatte wohl Angst vor alkoholisierten Ausschreitungen. Aber die Manu-Anhänger hatten heute an der Piazza Popolo aus großen Pappbechern Bier getrunken. Also habe ich auch eine Flasche Bier zum Abendsessen und zum Spiel getrunken. Rom hat 2:1 gewonnen. Aber richtige Lust zum Spielen hatten beide Mannschaften nicht.

Werbung weiß, wie sie uns motiviert

…und hier iost die private Hoffnung

Lebendige Vergangenheit – Cartoon Zeitgenossen

 

 

 

Ich lernte Olaf Rademacher als einen schattenhaften Partner und Begleiter von Heide Weidele kennen, deren immer wieder neu erfundene Kunstgewerke mich ansprachen – und mehr als das: mich faszinierten.

Olaf war immer mal da, aber meist abwesend als Person, aber anwesend als jemand, der in allen Gesprächen erwähnt wurde. Das liegt heute mehr als 30 Jahre zurück. Olaf war und ist Zeichner, Papierfledderer, der Zeitungen und Bücher gerne auf Stadtspaziergängen fand, eine Art Lebens-Clochard mit verschmitztem Lächeln und gerne explodierender Intellektualität. Und aus allen dieses Aspekten speist sich seine Liebenswürdigkeit.

Es gibt bei Olaf keine Titel, aber ich habe (zur privaten Identifikation) Schlagwörter hinzugefügt. Für diesen Cartoons steht: Entenwelt

1988 gab der Fischer-Verlag (Frankfurt) ein Taschenbuch mit Cartoons von Olaf Rademacher heraus, das neben 84 Abbildungen nur die nötigsten Daten zu seiner Person angibt: 1935 in Breslau geboren, nach dem Krieg ein paar Jahre in der CSSR gelebt, dann in West-Berlin nach einer Handwerkslehre die Meisterschule für Kunsthandwerk besucht. Erste Zeichnungen schon um 1950 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Als ich Heide Weidele kennen lerne, gab es auch Olaf immer wieder in ihrer Nähe, aber ein Zusammenhang fiel mir nicht auf. Als ich zu ihrer Trauung im Römer 1999 eingeladen wurde verwandelte sich die bisherige sanfte Fremdheit in eine warme Vertrautheit.

Ein paar Jahre zuvor, 1995, präsentierte ich Cartoons von Olaf Rademacher in Hannover, im zentralen Durchgang des Institutsgebäude des bib, einer Fachhochschule für Computerberufe.

gegen Kopfschmerzen

Von dieser Ausstellung fanden sich in A4 großen Briefumschlägen noch Belege, Fotokopien von Zeichnungen, die Olaf zur Auswahl geschickt hatte. Ich war es gewohnt, Originale zu präsentieren und nahm die Kopien lange Zeit auch als Originale. Nur bei sehr penibler Untersuchung der Striche, lassen sich Originale und Kopien auseinanderhalten. Olaf hatte wohl immer nur Kopien an seine Redaktionen geschickt; die Originale waren für den Verkauf an Sammler zurück gehalten, die dann den drei- bis vierfachen Preis des Abdrucks als Illustration erbrachten. Daten oder Titel trugen die Cartoons nicht. Das korrespondiert mit einer verblüffenden Abstraktheit der Figuren und Situationen auf den Cartoons.

Die Figuren sind einzeln und auch durchaus lebendig gezeichnet, aber sie sind gänzlich unindividuell. Sie sind Klone, ohne komplett identisch zu sein. Und alle sind sie, so scheint mir, irgendwie immer Olaf: deutlich und trotzdem schematisch bis vage, handelnd und (scheinbar) denkend, aktiv, aber deutlich nicht selbstbestimmt. Diese letzte Eigenschaft geht komplett an der Person Olaf vorbei. Er ist sehr selbstbestimmt in seinem Leben und Denken.

Stützen der Gesellschaft

enlightenment = Aufklärung

unter den Teppich kehren

Schnittmusterbogen

 

vor dem rettenden Ufer

Die Szenarien der Cartoons kenne ich nur für die Zeit der beiden Jahrzehnte vor und nach der Jahrtausendwende. Die Zeichnungen wurden nie datiert. Ich verstehe sie als eine fortlaufende Aktualität seines Lebens und des politischen Beobachtens.

Tagesaktualitäten treten in den Cartoons von Olaf Rademacher nicht auf. Deshalb sind Daten oder „Zeigefinger“ auf spezifische Ereignisse nicht notwendig. Es geht eigentlich immer um die grundsätzliche Befindlichkeit in unserer = der aktuellen Zeit.

Es gibt eine Reihe von Konstanten in den Cartoons von Olaf Rademacher: keine geschlossenen Räume (es gibt sehr seltene Ausnahmen), keine Physiognomien bei den Figuren, eine Zeitlang trugen die Köpfe alle runde Brillen, vorher oder nachher (beides unsicher) nicht, alle Gegenstände gehören einer traditionellen, alten, weitgehend vergangenen Welt an, auch Fernsehgeräte und Computer gehören dazu, ebenso Pflüge, Leitern, Stühle, Gasmasken, Besen. Es gibt ein sparsames Tierarsenal: gerne Enten, gelegentlich Fische oder auch mal ein Lama-ähnliches Tier.

Überraschend für mich – und dennoch sehr persönlich und „heimisch“ – empfand ich die zahlreichen Wasserszenerien, die mich immer an die biblische Sintflut erinnern. Allerdings auch an den Untergang der „Medusa“, an Kunstgeschichte und tatsächliche Schiffskatastrophen, die nicht nur von Géricault, sondern auch von Max Beckmann gemalt wurden.

 

 

Schatten des Lebens – Nachruf für Krysztof Penderecki

Am Sonntag Morgen, den 29. März 2020 starb in Krakau Krysztof Penderecki. Er wurde 86 Jahre alt.

Ich traf den polnischen Komponisten zwei Mal: 1988 wurde er von den Musikern des NDR Symphonieorchesters Hamburg zum ersten Gastdirigent gewählt. Aus dem Anlass machte ich mit ihm ein Interview im Funkhaus Hannover. Es gibt kein Manuskript vom ungeschnittenen Gespräch, auch keines vom gesendeten Gespräch.

Das zweite Treffen ergab sich in Würzburg 2010; ich war zu einer Mal-Performance in einer der Kirchen eingeladen und am Vorabend dirigierte Penderecki seine 7. Sinfonie im Dom.

 

Penderecki – und das ergibt sich für mich erst jetzt, beim Montieren meiner Erinnerungen zu einem Nachruf – gehört für mich in eine Reihe polnischer Künster(Namen), die mir das Aufnehmen europäischer Kultur im Laufe meines Lebens deutlich machten: Stanislawski Jerzy Lem, Tadeusz Kantor, Stanislav Witkiewicz, Andrej Waida, Roman Opalka, Roman Polanski, Jan Lenica, Magdalena Abakanowicz. Chopin, Tamara de Lempica oder Jan Mateijko reihten sich unbemerkt in die Reihe ein.

 

Penderecki ist für mich ein „Bild“ der Ruhe, der deutlich körperlichen Ruhe – wie er mit mir im Studio sass, wie er durch den Kirchenraum in Würzburg ging und wie er stundenlang am Tisch im Frühstückraum des Würzburger Hotels sass und redete. Beim Dirigieren bricht er dann aus dieser Ruhe aus und entfesselt Stürme von hinweisender Beweglichkeit. Schreck und Beruhigung wohnen in seinem Geist und seinem Körper.

 

Ich habe seit einigen Jahren Nachrufe auf / für Personen geschrieben, die mich berührt hatten. Alle Nachrufe waren persönlich, auch wenn einzelne dann auch als Text erschienen sind. In meiner folgenden Tagebuchnotiz ist mir meine „Bild“ von Penderecki immer noch sehr gegenwärtig. Es ist nun zu einem „Schatten des Lebens“ geworden.

 

201.11.13_Penderecki_Würzburg (2)

 

Penderecki in Würzburg 13.11.2010

 

Wir waren im 4-Sterne-Hotel „Rebstock“ untergebracht, dort logierte auch Krzysztof Penderecki, der in Würzburg seine 7. Sinfonie „Seven Gates of Jerusalem“ dirigierte…

Nach dem Essen ging es, nur wenige hundert Meter und um zwei Straßenbiegungen, zum Dom, in dem Penderecki die Sinfonie dirigierte, die er zur 3000 Jahr-Feier Jerusalems komponiert hatte. Der Dom war übervoll und alle Vorabbemühungen um reservierte Plätze waren vergebens gewesen. Im Querschiff, ganz am Ende fanden sich noch Plätze auf den Kirchenbänken. Ich suchte Sitz- oder Stehmöglichkeiten mit Blick auf Musiker und Sänger im Seitenschiff. Wir kamen dabei ins Gespräch mit dem Klavierbaumeister der Akademie, der uns erzählte, dass Penderecki die zwei Tage seines Aufenthaltes um ein Zimmer in der Akademie und ein Klavier gebeten hatten, um weiter an einer Komposition zu arbeiten. Sein Auftritt war eines Bischofs würdig: die Solosänger und –sängerinnen gingen vor ihm und in geziemendem Abstand kam er und trug die Partitur und seinen Bauch gravitätisch vor sich her. „So kommt sonst nur der Bischof hier herein“, sagte der Klavierbaumeister.

Penderecki dirigierte ohne Stab und führte Orchester und Chor nur mit schlichten Handbewegungen; er war in allem ruhig und gemessen. Mein Eindruck war: er komponierte, wie Jacques malt. Diesen Eindruck hatte ich schon bei der Vorbereitung vom Text zu Jacques, da war mir beim Recherchieren aufgefallen, dass beide ähnlich sprunghaft und diskontinuierlich mit religiösen und philosophischen Sujets und politisch-gesellschaftlichen umgehen. Bei Penderecki hörte ich viele Phrasierungen, die mir sehr vertraut waren, es war eine orchestrierte Neue Musik in gemäßigtem Aufguss: effektvoll, stilsicher, aber doch ohne allzu viel Überraschungen. Im vierten Teil (?) gab es eine kleine Passage, in der einer der Soprane (ich hörte es als Alt-Stimme) eine sanft gewellte chromatische Tonfolge sang, bevor ein mittleres Schlagzeug-Gewitter darüber zog. Es wäre schön gewesen, mehr von den melodiösen Folgen im Gedächtnis zu behalten. Am Ende gab es lang anhaltenden Applaus und Penderecki wirkte gelöst und zufrieden, so ging er dann auch wieder in sein Zimmer rechts neben dem Altarraum. Ich begleitete ihn eine Strecke und erzählte ihm, dass ich vor 30 Jahren, ein Jahr vor der „Roi Ubu“ Premiere ein langes Interview mit ihm im NDR gemacht hatte. Er hörte zu, aber sagte nahezu kein Wort.

Am Sonntag Morgen kam ich zum Frühstückraum und sah als erstes Penderecki, ging sofort wieder nach oben und holte das Programmheft, das er am Abend vorher wegen der vielen Menschen nicht signieren wollte. Ich setzte mich in Sichtweise und sprang auf, als er den Tisch verließ. Ich bat ihn um ein Autogramm und erzählte ihm nochmals die Geschichte von gestern; er erinnerte sich daran. Auf eine nächste Gelegenheit zum Gespräch hoffend verriet er mir, dass er in einem Jahr wieder in Würzburg sein würde und die Lukas Passion dirigieren würde – seine Lukas Passion.

Penderecki saß fast den gesamten Morgen im Frühstücksraum und sprach mit Musikern.., kurz vor 11.00 Uhr…sprach er mit einem älter wirkenden Russen, sie sprachen deutsch, denn es saß noch eine jüngere Frau mit am Tisch, die vorher auch schon mit ihm am Tisch gesessen hatte und ein Mädchen von etwa sieben Jahren – vielleicht Frau und Tochter von Penderecki. Die beiden Männer sprachen langsam, leise und mit großen Pausen deutsch, russisch sprachen sie nur, wenn die Frau sich entfernt hatte, aber im gleichen Sprechtempo.

Ich notierte mir „bedächtige Sätze…über Hotelzimmer, wo man wie, (und) in wessen historischem Zimmer man geschlafen hat; wer wen zu seinem Festival eingeladen hat – über Musikausbildung, dass Bläserklassen gefördert werden, Streicher aber nicht (und) dass Streicher weniger Gemeinsinn entwickeln. P. erwähnt wieder, mit leichtem Ton von Befriedigung, dass er die „Lukas Passion“ im nächsten Jahr macht“.

Eine Kunst-Stadt im Tokyoter Bereich

Das Faret Tachikawa Art Projekt

Bei einer Recherche zum israelischen Künstler Menashe Kadisman (1932 – 2015) stieß ich auf eine ausladende Skulptur in der Nähe meines derzeitigen Aufenthaltes; zur drei Stationen mit dem Vorortzug, dann Umstieg in den Tama Monorail und in weniger als 45 Minuten konnte ich dort sein.

Die Arbeit von Kadisman, den ich mehrfach in Deutschland und Israel getroffen hatte, ist Teil des Faret Tachikawa Art Projekts, das um die Mitte der 1990er Jahre geplant und durchgeführt wurde.

Ein professioneller Auftritt im Internet begleitet zeitgemäß gekleidete junge Besucher durch eine moderne Stadt , deren Hochhaus-Aspekte an New York, Chicago oder Los Angeles denken lassen (aufrufbar auch über YouTube). Als Erläuterung des Projects wird durch Schriftzug deutlich gemacht: „…it brings people and place together.“

Der Titel „Faret Tachikawa Art Project“ ließ mich an einen industriellen oder werbetreibenden Sponsor denken. Aber als ein solcher Hintergrund ließ sich nicht finden. Ich fand nur den Namen des verantwortlichen Kurators (art directors), der möglicherweise auch der Initiator war, denn mit ihm verbunden ist die „Art Front Gallery“ mit 50 Mitarbeitern. Fram (eigentlich Furamu) Kitagawa, geboren 1946 startete nach einem Kunststudium in Tokyo 1978 mit einer Antoni Gaudi Ausstellung, die er in 11 japanischen Städten plazieren konnte. Damit war wohl schon die Idee geboren, eine „company active in all apsects of art“ zu gründen – so überschreibt die Art Front Gallery heute ihre Aktivitäten und Ziele. Die Liste der Ausstellungen und Kunstaktionen ist sehr lang.

Warum das Faret Tachikawa Art Project gegründet wurde, wird nirgendwo explizit erläutert, doch mit einigen Puzzle-Stücken erschließt es sich durchaus:

der Ort Tachikawa wurde 1889 im süd-östlichen Gebiet von Tokyo nach der Einführung moderner Kommunalverordnungen gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Amerikaner Japan bereits gezwungen Häfen für den internationalen Handel zu öffnen, was zum Ende des 259 Jahren währenden Tokugawa Shogunats und zur Wiederherstellung der Herrschaft des Tennos führte. Japan modernisierte sich im Stil amerikanischer und europäischer Länder. Der neue Tenno (Mutsuhito) gab als Motto seiner Herrschaft „meiji“ (= aufgeklärte Herrschaft) aus. Es folgten umtriebige diplomatische Auftritte; der erste war 1873 auf der Weltausstellung in Wien. Auf diese Neubesinnung kaiserlicher, demokratisch ummantelter Herrschaft zielt wohl der Hinweis auf die „moderne Gemeindeordnung“ (Wikipedia) ab.

Tachikawa bot ein großes flaches Areal, das von 1922 an von der kaiserlichen Armee als Air field genutzt wurde (Wikipedia, engl.) Von 1929 – 1933 befand sich dort der erste internationale Flughafen von Tokyo. Nach 1933 wurde das Flugfeld nur noch militärisch genutzt und erweitert um eine angrenzende Flugzeugproduktion. Das führte im Zweiten Weltkrieg zu intensiven Angriffen der US Air Force. Nach dem Ende des Krieges übernahmen die Amerikaner den Flugplatz, der dann während des Koreakirges und danach auch für den Vietnam Krieg ein wichtiger Stützpunkt wurde.

1977 ging der Flugplatz wieder an Japan zurück und wurde von der japanischen „Selbstverteidigungs-Luftwaffe“ genutzt. Dabei blieb ein großer Teil des ursprünglichen Gebietes ungenutzt. Ein Teil wurde weiterhin als Evakuierungsflächen bei Erdbeben freigehalten und ein kleiner Teil mit einer neuen „Stadt“ bebaut (japanvisitor.com/tokyo/tachikawa).

Diese neue „Stadt“ wurde am 13. Oktober 1994 geboren und besteht aus 11 Gebäuden, die allesamt kommerzielle genutzt werden: Hotel, Kaufhaus, Kino, Bücherei/Bibliothek oder Verwaltungsgebäude. Vier Jahre später wurde der heute noch intensiv genutzte Monorail (Einschienenbahn) eröffnet.

 

Der neue Bereich vom „alten“ Tachikawa nennt sich Faret Tachikawa. „Faret“ bedeutet fare T(achikawa). Fare ist ein italienisches Verb = tun.

 

Das alte Tachikawa versteckt sich unter alten Bäumen am Rande des Neuen.
Man muss aber in die Nebenstrassen laufen, die still und verschlafen wirken

Dieser neue Tachikawa-Stadtteil, der ja nur durch Arbeits- und Konsumaspekte belebt wurde, konnte zu einer Blaupause für ein neues (nur japanisches?) Stadtleben werden.

Ein kleiner Eindruck von Faret Tachikawa, wenn man aus dem Monorail auf Einfamilienhaus-Dachhöhe aussteigt:

Blick 1 aus der Hochebene des Monorail Bahnhofs

 

Die Füße des Monorail

 

 

 

 

 

Blick 2 auf Faret Tachikawa

 

 

 

Blick 3 auf Faret Tachikawa, mit einem Kunstwerk

 

 

 

 

 

 

Faret is now a model for regional art-based revitalisation“, schreibt Initiator (?) und Kurator Fram Kitawara. Etwa in einem Jahrzehnt wurden 109 Werke von 92 Kündtlers aus 36 Ländern für Faret Tachikawa entwickelt und installiert. – Nach Informationen über Kosten und die Auswahlstrategie habe ich bisher vergeblich gesucht.

Aber ein Spaziergang um die vier Blöcke erweckt Assoziationen und Fragen. Und das ist eine wichtige Kraft von Kunst.

Hier folgen ein paar Beispiele und kurze Kommentare oder Erinnerungen von mir:

Hier sieht man deutlich, dass Kunst gemeint ist. Und man sieht sogar eine doppelte Zeit der Kunstgeschichte: Tendenzen die frühen 1930er und der späten 1970er Jahre.

 

 

 

Hier kommt man ins Grübeln: Kunst oder doch Architektur? Da nirgendwo an den Werken eine Plakette Aufschluß und Auskunft gibt, muß man dem eigenen Wissen oder Gefühl trauen.

Auskunft findet man aber im Internet unter Faret Tachikawa Art Project. Man muß sich durch den dort einsehbaren Lageplan durchklicken.

Ein Teil der großen Wand-Skulptur von Menashe Kadisman (1932 – 2015) mit einem sehr poetischen und existentiellen Hinweise: Tiere lächeln nicht, Menschen schon.

Kadishman hat immer in Gesprächen darauf hingewiesen, dass er erst Schäfer gewesen sei. Ob es stimmt, habe ich nie kontrolliert, denn es war für ihn eine Beschreibung seiner Nähe zu Natur und Natürlichkeit. Beides bedeutete für ihn Menschlichkeit.

Schwer zu entschlüsseln ist dieses Kunstwerk von Marina Abramovic (1936 in Belgrad), der großen Performerin. Die Rosenquarz Steine sind Stand- und Haltepunkte für Hände, Füße und Kopf. Marina Abramovic hat zusammen mit Ulay über viele Jahre die Stille und die Zeit zu Materialien der Kunst gemacht. Als Solo-Performerin schwebte sie danach oftmals im Verharren, einer geistigen Kreuzigung.

Niki de Saint Phalle ist auf sehr andere Art als Marina Abramovic eine Frau, die sich zwischen Märchen und Welt, zwischen Verletzung und Heilung bewegt. Wie Kadishman ist Niki de Saint Phalle den Tieren, ihrer Geschichte, ihren Mythen und ihren Kräften sehr nahe.

Bei diesem Kunstwerk vergeht die Ratlosigkeit der Besucher erst, wenn man beginnt, mit den Gegenständen des Alltags (es sind reale Verbots Poller) zu spielen – sie als wandelbare Elemente zu nutzen.

 

 

 

Dieses Haus-ähnliche Gebilde steht in einer gepflasterten parkähnlichen Raucherecke und erinnerte mich an skulpturale Arbeiten von Per Kirkeby (1938 – 2018).

 

 

Let’s go Pop – die Stadt und ihre Kunst sind hier getreulich vereint.

 

Manchmal spielen die Sonne und die wenigen Bäume in den Straßen  mit der Kunst und geben ihr eine eigene „natürlich“ Aura. Man muß allerdings zur rechten Zeit am Ort sein.

 

 

 

Manchmal fragt man sich beim Flanieren entlang der Straßen von Faret Taxchikawa, wo die Kunst anfängt und die Architektur aufhört oder wo die Architektur zum Rahmen der Kunst wird. Wenn man aber nicht Flaniert, sieht man diese Frage nicht.

Aber: hinter aller Kunst steht immer noch die Wirklichkeit, wenn die Wirklichkeit nicht schon in der Kunst ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Japanische Höflichkeit oder Problemlösung auf japanisch

Sie ist sprichwörtlich, die japanische Höflichkeit. Wer einmal in Japan war, kennt das leichte Nicken mit dem Kopf, die leichte Seitwärtsbewegung eines Mannes oder einer Frau, die einem entgegen kommen und einen selbst schon mal gesehen haben oder aber den Ausländer auf diese Weise willkommen heißen.

Zur Höflichkeit gehört auch, dass man auf alles mögliche hingewiesen wird: im Zug, wen man bei Notfällen oder beim Beobachten von Ungewöhnlichem kontaktieren soll, an der Supermarktkasse auf den Betrag seines Einkaufs, den man als Nicht-Japaner so rasch als korrekt nicht realisieren kann, bevor man die „confirm“-Tasdte drücken soll und an Baustellen mit sichtbarem Aufwand an Menschen und Material, wohin man seine Schritte unbedingt wenden und ob und wie lange man stehen bleiben muss.

Als Ausländer ist man immer in Gefahr, eines der vielen ungeschriebenen und unbekannten Verhaltensmuster verletzt zu haben.

Gerade beim beliebten JR Rail Pass, der das Reisen in Japan preiswert und vielfach einfach macht, werden dabei womöglich auch irreführende Missverständnisse eingebaut. Bei den vorangegangenen drei Reisen habe ich mit den Rail Pässen gute Erfahrungen gemacht. Bei dem jetztigen Aufenthalt führte mich meine Suche auf neue Anbieterseiten, deren europäische Standorte ich der Anbieterseite erst nach der Buchung entnehmen konnte.

Ich buchte u.a. einen JR East-South Hokkaido Rail Pass, denn ich wollte mich gezielt durchs Land bewegen. Auf der Innenseite befindet sich eine Landkarte mit Städten und Verbindungen. Welche Verbindlichkeit die Ortsnamen und Streckenlinien haben, wird nicht deutlich ausgeführt. Dafür wird aber darauf hingewiesen, dass bei etwaigen Übersetzungsfehlern ins Englische, Chinesische und Koreanische die japanische Version bindend ist. [„If the English, Chinese (traditionell or simplified) or Korean translation of these conditions of carriage is queried, the Japanese version shall be considered correct.“]

Es ist wie an der Supermarkt Selbstbedienungskasse: wenn ich den Kassenzettel noch nicht ordentlich geprüft habe und dennoch bei „confirm“ gedrückt habe, gibt es keine Möglichkeit des Einspruchs mehr. Fehler machen Japaner nicht! Wenn sie aber trotzdem entstehen, versucht man unter allen Umständen recht zu haben, danach aber nicht unbedingt zu handeln.

Ich buchte von Akita nach Niigata ein Ticket, das ich erhielt. Niigata war aber als Namen nicht auf der kleinen Landkarte verzeichnet. Es irritierte mich nicht, weil ich nicht davon ausging, dass alle möglichen Haltepunkte des Gebietes aufgeführt sind.

Beim Ein- und Austreten der Bereiche der verschiedenen Linien muss man den Rail Pass vorzeigen. In Niigata gab es dabei keine Reaktion – der Bahnhof kam mir sehr unübersichtlich vor, ich mußte mehrfach nach dem Ausgang fragen. Plötzlich stand ich außerhalb des Bereiches der verschiedenen Zug-Gesellschaften. Ich ging gleich zum JR Rail Pass Schalter und orderte für meine Weiterfahrt zwei Tage später Karten nach Toyoshima, einer kleinen Station in den japanischen Alpen. Bis dahin mußte ich dreimal umsteigen, in Takasaki, Nagano und als letztes Matsumoto.

In mein Tagebuch schrieb ich, meine Tochter, die im Großraum Tokyo lebt, hat sehr gute Vorarbeit geleistet, „die sehr hilfreiche junge Frau in Niigata konnte auch keine bessere Verbindung finden. Sie hatte sich immer wieder entschuldigt, wenn sie wegging, um etwas nachzuschauen. Es störte mich nicht, ich hatte Zeit, in meinem Hotel konnte ich erst um 15.00 Uhr einchecken. Es war schön zu sehen, wie die junge Frau, die meine Fahrkarten zusammenstellte nach jedem Gang, den sie vom Schalter weg machen mußte, lächelnder, fröhlicher und erleichterter zurück kam. Ich habe sie als sehr herzlich empfunden. Sie kam mir sogar noch nachgelaufen, weil sie mich ein klein wenig falsch zum Hotel geschickt hatte. Ich hätte es wenige Schritte weiter gemerkt, aber so war es nochmals ein herzliches gegenseitiges Anlachen.“

In Takasaki wurde ich angehalten mit dem Hinweis, dass mein JR Pass hier nicht gültig sei. Ich verwies auf meine gültigen Tickets und die Umstände des Erwerbs. Man ließ mich warten. In letzter Minute schickte man mich mit einem handgeschriebenen Begleitzettel zum Bahnsteig.

In Nagano erhielt ich erneut den Hinweis, dass mein JR Pass hier nicht gültg sei. Ich wiederholte meine bisherigen Argumente. Man mußte, wie schon in Takasaki, mit dem „Chef“ sprechen. Ich hatte zwar 45 Minuten Zeit zum Umsteigen, aber es wurde zeitlich immer enger. Kurz vor Abfahrt des Zuges wurde ich nochmals vertröstet. Also eine Stunde Wartezeit auf den nächsten Anschluß. Die Zeit verstrich, meine Gesprächspartnerin kam von einer anderen Seuite (in meinem Rücken – zufällig oder bildhaft bedeutsam?) und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sie legte einen typisch japanischen Eilschritt vor, führte mich um Sperren herum und brachte mich an den Zug, der jeden Moment abfahren mußte. Als die Türen sich schlossen, verschwand sie wieder. In Matsumoto wurde ich wieder am Ausgang auf die Ungültigkeit des Passes angesprochen. Ich schaute den Mann wenig überrascht an und sagte ihm, er wäre der Dritte heute. Er lachte, nahm mir das ticket aus der Hand und ließ mich gehen.

Ich war nun einen halben Tag ohne die Berechtigung mit meinem JR Rail Pass unterwegs und wurde hier, vor der letzten kurzen Wegstrecke (Yen 230) aus- oder abgeschoben.

Das ist eine noble Form, sich aus der Bedrouille zu ziehen, denn an allen Stationen wurde mir gesagt „it’s your fault“. Ich musste bei jedem Umsteigen vor allem konzentriert und freundlich kooperativ, aber vor allem bestimmt sein.

War es für die JR Mitarbeiter(innen) unmöglich zu sehen, dass sich zwei Fehler ineinaner verhakt hatten? Ich hatte auf die Richtigkeit vertrauten können, dass es korrekt war, nachdem ich die Tickets für die drei Teilstrecken ab Niigata, das ich ja nicht hätte erreichen dürfen, erhielt und man hatte mir zwar zur eigenen Reinwachsung zweimal gesagt, es wäre meine Schuld, aber diese Schuld wurde mir nicht nachgewiesen. Man brachte mich statt dessen so weit irregulär in die Züge, bis ich außerhalb des Netzes der schnellen Züge war. Danach wird anders kontrolliert und die Bahnsteige sind auch durch andere Eingänge erreichbar. Man entzog mich der regulären Kontrolle an den Eingängen und bestrafte mich zumindest einmal mit einer (bewußten?) Zeitverzögerung.

Als ich das System endlich verstand, war ich schon aus dem Geltungsbereich heraus. Ich kaufte mir für den letzten Abschnitt eine neue Fahrkarte für den Preis von 230 Yen (knapp 3€).

Nachdenken über einen Waldspaziergang

Zurück vom alten „Tokaido“, dem Weg zwischen Kyoto und Edo.

In meinen Rücksack am Morgen hatte ich einen kleinen Leinenbeutel eingesteckt, als Behälter für irgend etwas unterwegs. Er stamm von einem Treffen mit Reinhold Messner, als er auf der EXPO 2000 in Hannover sein „Yetiland“ vorstellte.

Ich war in Hakone, um ein kleines Stück den alten Verbindungsweg zwischen Kyoto und Edo zu gehen, dem Weg zwischen der Kaiserresidenz (Kyoto) und dem Regierungssitz (Edo / Tokyo). Hakone war die 10. Gasthaus-Station auf diesem Weg.

Am Ende des Tages sinniere ich darüber nach, was ich Reinhold Messner in Hannover nicht gefragt habe: Warum Berge für die Menschen (auch) göttlichen Charakter haben.

Das kleine Auf und Ab an Bergjängen bei meiner heutigen Wanderung ist dabei sicherlich nebensächlich, aber es verbindet sich doch mit dem spirituellen Japan, dem Geist seiner Kultur. Steine und Berggipfel spielen dabei eine wichtige Rolle.

Auf dem Weg fand ich zwei kleine Steinpyramiden – Wegmarken oder Gebete von Reisenden, so wie ich sie vielfältig auch in Korea gesehen habe und aus der Literatur auch von Mittelamerika her kenne. Mystisch ist der Weg zwischen dem Ashi See und Hakone sicher nicht, aber er ist beschwerlich und für uns etwas anderes als ein Handelsweg oder eine Informationsader – es war ja die Kommunikationsader zwischen den vielfach rivalisierenden Machtorten der Shokugawa-Zeit.

Aber es ist ein Weg durch viel Wald, heiter und düster, über Stock und Stein. Und er erinnert an die Straßen der Römer, die deutlich älter sind (etwa 1.600 Jahre plus), ebenso wie an die Wald-Stimmung, die Friedrich Schiller in seiner Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ (1797) beschwört und mit einem göttlichen Zeichen am Himmel verbindet.

Im Wald am Wegesrand Zeichen zu hinterlassen ist für die Menschen in unserer Vergangenheit etwas Bindendes zwischen Göttlichem/ Natürlichem und Menschlichem / Kreatürlichem gewesen.

Ich habe heute etwas davon erlebt.

Aber das erste, was ich in Hakone gesehen hatte, war ein Touristenschiff im Stil der Galeonen.

Touristenschiff im Stil der Galleonen

Wer den alten Weg von Edo nach Kyoto heute noch ein Stück weit beschreiten möchte, dem wird empfohlen, mit dem Bus vom Bahnhof Hakone-Yumato nach Motohakone-Ko an den Ashi See zu fahren. Der Rückweg vom See zum Bahnhof, so erklärte mir eine erfahrene Frau in der Touristeninformation, ist der bessere, denn da läuft man bergab.

Ich habe das befolgt. Was mich allerdings eine Zeitlang durch den kleinen Ort am See streifen ließ, war das Fehlen jeglicher Hinweise auf den Eingang zum alten Tokaido-Weg. Nach diesem Weg übrigens ist der erste Shinkansen (1964) benannt worden. Er führt nicht nur über die alten Regierungsstädte Edo/Tokyo nach Kyoto, sondern entlang der Ostküste bis hinunter nach Kagoshima am nördlichsten ZIpfel von Kyushu.

Dieses Suchen nach einer Touristen Information (Fehlanzeige) oder einem Hinweisschild trieb mich rastlos durch die Straßen und um die Häuser. Dabei entdeckte ich das Anlegen dieses beeindruckenden rot-Gold glänzenden Touristenschiffes.  Hakone ist vor allem ein Touristenort mit weit überwiegend japanischen Touristen.

Das Schiff wirkt auf die japanischen Touristen sicher abenteuerlich, denn es entspricht in etwa den Schiffen, mit denen die ersten iberischen Europäer 1543 in Japan strandeten und später landeten. Diese Schiffe vom Typ Galeone wurden 1535 erstmals erwähnt und sollen der Schiffstyp sein, mit dem Kolumbus den Seeweg nach Osten erkunden wollte und in Amerika anlandete.

Mit einem dieser Schiffe landete die ersten Portugiesen in Kagoshima, dem Endpunkt der Tokaido-Shinkansen.

Nach mehrfachen Auf und Ab entlang der Durchgangsstraße fand ich dann doch einen Hinweis –

Endlich ein Hinweis

sehr versteckt.

Frohgemut folgte ich dem Weg, wunderte mich allerdings über seine Enge und die Stufen auf Baumwurzeln. Schön war der steile Anfang dennoch.

Schönheit am falschen Weg

Es kamen mir mit jedem weiteren Schritt Zweifel. Dann hörte ich irgendwo zwischen den Bäumen amerikanische Leute. Ein junges Paar kam mir entgegen, die ebenfalls diesem Weg nicht den Charakter des Tokaido zutrauten. Wir suchten nun gemeinsam den richtigen „Eingang“. Die Karte auf dem Smartphone des jungen Amerikaners sowie auch die Auskunft eines japanischen Ladenbesitzers führten uns das auf den richtigen Weg.

Der Weg war anfangs eine breite Straße, wechselte dann auch zu einem Waldweg, aber nach einiger Zeit wurde es tatsächlich ein historischer Weg.

Dicke, grob behauene Steine bildeten eine feste Decke zwischen tiefe Rinnen an beiden Seiten.

Der Weg erinnerte mich jetzt an alte römische (Heer)Straßen. Der intensive regen der vergangenen Wochen hatte die Steine mit einer sehr glitschigen feuchten Schicht überzogen.  Wir konnten nur langsam, oft nur zögernd gehen.

Bergab waren die Steine sehr glitschig

Wir schritten durch grün getünchte Korridore. Gedanken an die tatsächlichen Reise-(un)be-quemlichkeiten der Tokugawa-Zeiten kamen mir nicht in den Sinn; jedes Bild dafür wäre zu abenteuerlich gewesen.

Man vergisst die Zeit beim Laufen durch den nicht sehr dichten Wald, aber gelegentlich wird man von kleinen Wegmarken angehalten.

Der erste Hinweis darauf, dass Menschen diesen Weg schon vor uns benutzt hatten, war diese kleine, fast unscheinbare Steinpyramide.

Übersehen konnte man diese drei kleinen moosüberzogenen Steinstelen.

Bemooste Stelen

Der linke Stein ist recht deutlich ein Gorinto, ein Fünf-Ringe Turm, der häufig als Ehrenzeichen für einen Toten gesetzt wird. Die beiden anderen Steine haben vermutlich einen ähnlichen Charakter. Der Gorinto wurde gern als Kenotaph benutzt, als „leeres Grab“, das Todesorte kennzeichnete oder auch als eine wünschenswerte Grabstelle eines Verstorbenen. Man konnte mit Gebeten die Toten in diesen Grab rufen.

Erinnerungsstein

Zu diesem Stein weiß ich nichts, aber seine stille Existenz und die hinterlassenen 1 Yen Geldstücke ordnen ihn in die Reihe der Erinnerungs- /Gedenksteine dieses Wegabschnittes ein.

„Der Weg ist das Ziel“ heißt es zuweilen gern; für mich führte der „Weg“ (s.o.) in Erinnerungen und Gedanken, somit ebenso zurück wie nach vorne.

Tokyo umzu (1) – Eindrücke eines Spaziergangs

gestaltete Natur zwischen Universität und Einklaufszentrum

 

In der Nähe meines aktuellen Standquartiers zwischen Tama Center und Hashimoto im Großraum Tokyo gibt es neben dem Straßen- und Schienensystem, das ich bisher für meine Ausflüge genutzt habe, ein stilles und nicht gleich sichtbares Wegenetz. Breite straßenähnliche Wege für Fußgänger und Radfahrer verbinden Wohnsiedlungen, die man von den Bahn-Stationen und Einkaufplazas nicht sieht. Bisher habe ich die Menschen einkaufen gesehen, sie aber kaum in ihrer Wohnumgebung erlebt.

Heute spazierte ich endlang ihrer Wohnbereiche und entdeckte viel Grün und vielerlei kuriose Ästhetik.

Ein kleiner Bilderbogen von der Metropolitan University Tokyo bis zum Kamiyugu Park.

Der Park ist der grüne Schopf der höchste Erhebung in der nähern Umgebung: ein Ziel, das man über das autofreie Wegenetz erreicht. Der breite Weg ist flankiert von noch dünnstämmigen Bäumen, hinter denen sich sehr verschiedene Fassaden verstecken. Ich habe den Eindruck, dass der Weg eigenständige kleine Siedlungen verbindet. Gesehen habe ich Eltern(teile) mit kleinen und mit Grundschul-Kindern und alte Leute. Die Wohngebäude wirkten still und stumm. An allen Fassaden waren Balkone zu sehen, aber nirgendwo sah ich eine Nutzung; ich weiß aber, dass sie vor allem der Trockenraum für die Wäsche sind.

Der Himmel war während meines Spaziergangs bedeckt, aber ich kann ermessen, dass die Wege auch bei Sonne schattig sind. Grundschulen und Sporthallen flankieren den Weg. Zum Einkaufen muß man vermutlich auf die höher gelegenen Ebenen des Durchgangsverkehrs wechseln oder zur Plaza an die nächste Bahnstation.

Nur Grün und nur Hausfassaden ist vermutlich nicht genug. Entlang des Weges fand ich im Abstand weniger hundert Meter skulpturale Elemente, die mir nicht vermittelten, dass sie Kunst sind, aber auch nicht Spielgerät oder Zeugen einer unerklärlichen Vergangenheit.

Trennung von Grün und grau – japanische Ästhetik im Alltag?

 

geschlossene Idylle

 

Fensteridyll mit Blick zur Straße

Sitzbank? Spiel-Landschaft? Kunstwerk?

 

Wohnen wie in Wanne-Eickel. Mir fallen die alten Bergmanns-Siedlungen ein.

Ein sommertrockener Wasserfall, natürlich künstlich.

Leider keine Kletterwand

Balkone nur als Wäsche-Trockenraum

Charakterisiert ein Entenschnabel eine Ente? Eine offene Frage und ein offenes Volumen.

Steinhaufen in Form eines Schuhs, bewußt geformt und als Paar um eine öffentliche Toilette aufgestellt

Ein Innenhof mit deutlichem Zugang zur Außenwelt. Leben im Gegensätzlichen.

 

 

Meditative Wimmelbilder

Katalog-Cover und Motiv des Plakats

Auf einem der Bahnhöfe im Tokyoter Umland lockte mich ein farbiges Plakat mit afrikanischer Figuration und ansonsten nur japanischen Schriftzeichen zu näherer Betrachtung. Hinweise, um was es ging, konnte ich den mir unbekannten Schriftzeichen nicht entnehmen. Eine Japanerin, die in der Nähe stand war hilfsbereit und ich erfuhr, dass es sich um eine Ausstellung im Museum der Tama Art University handelte, die noch zu sehen ist.

Ich empfand Vorfreude auf einen Besuch in Tama Center, das ich schon vor zwei Jahren besucht hatte und auf schöne farbige Skulpturen von Niki de Saint Phalle getroffen war, der französisch-amerikanischen Künstlerin. Meine Begegnungen mit Niki de Saint Phalle sind wir teure Erinnerungen, und das war eine zusätzliche Motivation.

Das Museum der Kunst Universität steht direkt neben der Benesse Verwaltung, der Eigentümerin der Berlitz School und der Figuren von Niki.

Skulptur von Niki de Saint Phalle

 

 

 

Auf zwei Stockwerken, in vier mittelgroßen Räumen sind Teile der Afrika Sammlung von Kenji Shiraishi präsentiert, einem „führenden Afrika Kenner“ (sagt der Katalog).

 

 

Die Ausstellung erfreut und überzeugt, aber sie hat auch die Tendenz, die Besucher zu überfordern. Im ersten Raum, gleich rechts hinter dem Eingangsbereich, ist ein großes sieben-teiliges Wandbild, das von traditionellen Holzskulpturen und beeindruckend ornamentierten Filz- und Bast-Matten zu einem ruhigen und schöner Eintritt in eine fremde Welt arrangiert worden. Es ist keine Welt, die unverständlich, aber von uns unerlebt ist. Wir kennen sie bestenfalls durch Abbildungen.

Ein Teil aus dem Wandbild von Abdul Amonde Mkura von 1992

Der Raum wird durch das siebenteilige Wandbild von Abdul Amonde Mkura (geb.1954) dominiert, das er im Jahr seines ersten Japanbesuches, 1992, malte. Die aneinander gereihten Bildtafeln sind mittig im erzählerischen Sinne geteilt: unten sieht man eine Abfolge ländlichen Lebens, oben eine Paraphrase aus der Welt der Tiere und Fabelwesen. Es vermengen sich auf beiden Bildebenen zeitgenössisches und archaisches Leben. Im oberen naturhaften Bereich meine ich Berg- und Baumformen zu erkennen, die auch in der japanischen Bildtradition erscheinen.

Alle Artefakte im Raum ziehen den Betrachter in Bann, aber es bedarf des Verweilens. Die Bilder und Skulpturen, selbst die Gewebe wollen gelesen werden wie ein Buch. Ich gestehe, dass ich nur einige der „Bücher“ angelesen habe. Gerade in diesem ersten Raum gibt es zu viele interessante Ablenkungen: neben den traditionellen Skulpturen ein paar Tierbilder, denen man gerne eine Nähe zu Kinderzeichnungen nachsagen möchte. Erhellend – vielleicht wie ein Lexikon – ist eine dunkle Skulptur von Kashimiri Matayo: eine offene Säulenform, in der sich linienförmig ein Pferdekopf und eine Art Fisch-Mensch in einer Lianen-Welt ineinenander verschlingen.

Bevor man zwei Räume mit kleinen und großen farbigen Arbeiten von George Lilanga betritt, gibt es einen Raum mit Fotos aus den Jahren 1970-73 von Frelimo-Unabhängkeitskämpfern in Mozambique. Das Wort „Frelimo“ konnte ich lesen und es führte mich zurück in meine Studienjahre und die Anteilnahme der überall in Afrika erwachten Freiheitsbewegungen. Fotos, wie diese unpathetischen Szenen aus dem Dschungelleben, waren damals wenig in den Medien zu finden. Sind diese Szenen auch der Hintergrund für die zeitgleichen Malereien dieser Ausstellung? Der Ausstellungspräsentation konnte ich das nicht entnehmen und auch dem nur mit japanischen Informationen versehenen Katalog nicht. Dem siebenteiligen Wandbild von Mkura würde ich einen solchen Zusammenhang unterstellen, denn er zeigt die afrikanische (Bilderbuch)Welt brüchig, erschreckend und doch auch stabil traditionell.

Mkuras Malerei ist durchweg erzählerisch, er kommt aus der damals jungen Tradition der Tingatinga-Malerei, die in den 1960er Jahren von einem arbeitslosen Mann namensTingatinga in Tanzania entwickelt worden. Er bemalte mit Fahrradlack quadratische Pressplatten mit Tieren, Figuren und Landschaften. Zu Mkura und Tingatinga gibt es im Internet deutsprachige und japanische Seiten.

George Lalinga, 1993, von dem auch die Abbildung auf Plakat und Katalog stammt

Der größte Teil der Ausstellung ist George Lilanga (1934 – 2005) aus Daressalam, Tanzania, gewidmet. Auch seine Kunst fußt auf der Tingatinga-Bewegung. Er hat sich später zu vereinfachten und abstrahierten Figurationen entwickelt. Die ornamentalen Formen füllen jeweils die ganze Malfläche. Die Figuren mutieren ständig; sie sind alle eins und doch ständig anders. Für die Augen sind seine Bilder Labyrinthe ohne Ausgang und Eingang. Sie sind Meditationsbilder, die vor den Augen gerne verschwimmen. Ich empfinde sie als fröhlich und zugleich mystisch. Sie erinnern mich stark an japanische Mangafiguren, die sich auch gerne und intensive verwandeln.

George Lalinga, 1979

In der westlichen Kunst gibt es während der 1970er Jahre vergleichbare Kunstwerke, vor allem bei den Phantasten, die ebenfalls gern auf historische Weltdarstellungen zurückgriffen. Mich erinnert gerade dieses Blatt an Arbeiten von Walter Wegmüller (Basel), der zu meinen Künstlerfreunden der 1960er Jahre gehörte. Auch Niki de Sait Phalle ist mit ihrem zeichnerischen Werk nicht sehr weit entfernt, schöpft aber vor allem aus biographischen Quellen.

Wieviel Lebensweisheit, wieviel Politik in den Werken dieser Ausstellung steckt, kann ich derzeit nur erahnen, herausgefunden habe ich es noch nicht.