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Nachdenken über einen Waldspaziergang

Zurück vom alten „Tokaido“, dem Weg zwischen Kyoto und Edo.

In meinen Rücksack am Morgen hatte ich einen kleinen Leinenbeutel eingesteckt, als Behälter für irgend etwas unterwegs. Er stamm von einem Treffen mit Reinhold Messner, als er auf der EXPO 2000 in Hannover sein „Yetiland“ vorstellte.

Ich war in Hakone, um ein kleines Stück den alten Verbindungsweg zwischen Kyoto und Edo zu gehen, dem Weg zwischen der Kaiserresidenz (Kyoto) und dem Regierungssitz (Edo / Tokyo). Hakone war die 10. Gasthaus-Station auf diesem Weg.

Am Ende des Tages sinniere ich darüber nach, was ich Reinhold Messner in Hannover nicht gefragt habe: Warum Berge für die Menschen (auch) göttlichen Charakter haben.

Das kleine Auf und Ab an Bergjängen bei meiner heutigen Wanderung ist dabei sicherlich nebensächlich, aber es verbindet sich doch mit dem spirituellen Japan, dem Geist seiner Kultur. Steine und Berggipfel spielen dabei eine wichtige Rolle.

Auf dem Weg fand ich zwei kleine Steinpyramiden – Wegmarken oder Gebete von Reisenden, so wie ich sie vielfältig auch in Korea gesehen habe und aus der Literatur auch von Mittelamerika her kenne. Mystisch ist der Weg zwischen dem Ashi See und Hakone sicher nicht, aber er ist beschwerlich und für uns etwas anderes als ein Handelsweg oder eine Informationsader – es war ja die Kommunikationsader zwischen den vielfach rivalisierenden Machtorten der Shokugawa-Zeit.

Aber es ist ein Weg durch viel Wald, heiter und düster, über Stock und Stein. Und er erinnert an die Straßen der Römer, die deutlich älter sind (etwa 1.600 Jahre plus), ebenso wie an die Wald-Stimmung, die Friedrich Schiller in seiner Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ (1797) beschwört und mit einem göttlichen Zeichen am Himmel verbindet.

Im Wald am Wegesrand Zeichen zu hinterlassen ist für die Menschen in unserer Vergangenheit etwas Bindendes zwischen Göttlichem/ Natürlichem und Menschlichem / Kreatürlichem gewesen.

Ich habe heute etwas davon erlebt.

Aber das erste, was ich in Hakone gesehen hatte, war ein Touristenschiff im Stil der Galeonen.

Touristenschiff im Stil der Galleonen

Wer den alten Weg von Edo nach Kyoto heute noch ein Stück weit beschreiten möchte, dem wird empfohlen, mit dem Bus vom Bahnhof Hakone-Yumato nach Motohakone-Ko an den Ashi See zu fahren. Der Rückweg vom See zum Bahnhof, so erklärte mir eine erfahrene Frau in der Touristeninformation, ist der bessere, denn da läuft man bergab.

Ich habe das befolgt. Was mich allerdings eine Zeitlang durch den kleinen Ort am See streifen ließ, war das Fehlen jeglicher Hinweise auf den Eingang zum alten Tokaido-Weg. Nach diesem Weg übrigens ist der erste Shinkansen (1964) benannt worden. Er führt nicht nur über die alten Regierungsstädte Edo/Tokyo nach Kyoto, sondern entlang der Ostküste bis hinunter nach Kagoshima am nördlichsten ZIpfel von Kyushu.

Dieses Suchen nach einer Touristen Information (Fehlanzeige) oder einem Hinweisschild trieb mich rastlos durch die Straßen und um die Häuser. Dabei entdeckte ich das Anlegen dieses beeindruckenden rot-Gold glänzenden Touristenschiffes.  Hakone ist vor allem ein Touristenort mit weit überwiegend japanischen Touristen.

Das Schiff wirkt auf die japanischen Touristen sicher abenteuerlich, denn es entspricht in etwa den Schiffen, mit denen die ersten iberischen Europäer 1543 in Japan strandeten und später landeten. Diese Schiffe vom Typ Galeone wurden 1535 erstmals erwähnt und sollen der Schiffstyp sein, mit dem Kolumbus den Seeweg nach Osten erkunden wollte und in Amerika anlandete.

Mit einem dieser Schiffe landete die ersten Portugiesen in Kagoshima, dem Endpunkt der Tokaido-Shinkansen.

Nach mehrfachen Auf und Ab entlang der Durchgangsstraße fand ich dann doch einen Hinweis –

Endlich ein Hinweis

sehr versteckt.

Frohgemut folgte ich dem Weg, wunderte mich allerdings über seine Enge und die Stufen auf Baumwurzeln. Schön war der steile Anfang dennoch.

Schönheit am falschen Weg

Es kamen mir mit jedem weiteren Schritt Zweifel. Dann hörte ich irgendwo zwischen den Bäumen amerikanische Leute. Ein junges Paar kam mir entgegen, die ebenfalls diesem Weg nicht den Charakter des Tokaido zutrauten. Wir suchten nun gemeinsam den richtigen „Eingang“. Die Karte auf dem Smartphone des jungen Amerikaners sowie auch die Auskunft eines japanischen Ladenbesitzers führten uns das auf den richtigen Weg.

Der Weg war anfangs eine breite Straße, wechselte dann auch zu einem Waldweg, aber nach einiger Zeit wurde es tatsächlich ein historischer Weg.

Dicke, grob behauene Steine bildeten eine feste Decke zwischen tiefe Rinnen an beiden Seiten.

Der Weg erinnerte mich jetzt an alte römische (Heer)Straßen. Der intensive regen der vergangenen Wochen hatte die Steine mit einer sehr glitschigen feuchten Schicht überzogen.  Wir konnten nur langsam, oft nur zögernd gehen.

Bergab waren die Steine sehr glitschig

Wir schritten durch grün getünchte Korridore. Gedanken an die tatsächlichen Reise-(un)be-quemlichkeiten der Tokugawa-Zeiten kamen mir nicht in den Sinn; jedes Bild dafür wäre zu abenteuerlich gewesen.

Man vergisst die Zeit beim Laufen durch den nicht sehr dichten Wald, aber gelegentlich wird man von kleinen Wegmarken angehalten.

Der erste Hinweis darauf, dass Menschen diesen Weg schon vor uns benutzt hatten, war diese kleine, fast unscheinbare Steinpyramide.

Übersehen konnte man diese drei kleinen moosüberzogenen Steinstelen.

Bemooste Stelen

Der linke Stein ist recht deutlich ein Gorinto, ein Fünf-Ringe Turm, der häufig als Ehrenzeichen für einen Toten gesetzt wird. Die beiden anderen Steine haben vermutlich einen ähnlichen Charakter. Der Gorinto wurde gern als Kenotaph benutzt, als „leeres Grab“, das Todesorte kennzeichnete oder auch als eine wünschenswerte Grabstelle eines Verstorbenen. Man konnte mit Gebeten die Toten in diesen Grab rufen.

Erinnerungsstein

Zu diesem Stein weiß ich nichts, aber seine stille Existenz und die hinterlassenen 1 Yen Geldstücke ordnen ihn in die Reihe der Erinnerungs- /Gedenksteine dieses Wegabschnittes ein.

„Der Weg ist das Ziel“ heißt es zuweilen gern; für mich führte der „Weg“ (s.o.) in Erinnerungen und Gedanken, somit ebenso zurück wie nach vorne.