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Lebendige Vergangenheit – Cartoon Zeitgenossen

 

 

 

Ich lernte Olaf Rademacher als einen schattenhaften Partner und Begleiter von Heide Weidele kennen, deren immer wieder neu erfundene Kunstgewerke mich ansprachen – und mehr als das: mich faszinierten.

Olaf war immer mal da, aber meist abwesend als Person, aber anwesend als jemand, der in allen Gesprächen erwähnt wurde. Das liegt heute mehr als 30 Jahre zurück. Olaf war und ist Zeichner, Papierfledderer, der Zeitungen und Bücher gerne auf Stadtspaziergängen fand, eine Art Lebens-Clochard mit verschmitztem Lächeln und gerne explodierender Intellektualität. Und aus allen dieses Aspekten speist sich seine Liebenswürdigkeit.

Es gibt bei Olaf keine Titel, aber ich habe (zur privaten Identifikation) Schlagwörter hinzugefügt. Für diesen Cartoons steht: Entenwelt

1988 gab der Fischer-Verlag (Frankfurt) ein Taschenbuch mit Cartoons von Olaf Rademacher heraus, das neben 84 Abbildungen nur die nötigsten Daten zu seiner Person angibt: 1935 in Breslau geboren, nach dem Krieg ein paar Jahre in der CSSR gelebt, dann in West-Berlin nach einer Handwerkslehre die Meisterschule für Kunsthandwerk besucht. Erste Zeichnungen schon um 1950 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Als ich Heide Weidele kennen lerne, gab es auch Olaf immer wieder in ihrer Nähe, aber ein Zusammenhang fiel mir nicht auf. Als ich zu ihrer Trauung im Römer 1999 eingeladen wurde verwandelte sich die bisherige sanfte Fremdheit in eine warme Vertrautheit.

Ein paar Jahre zuvor, 1995, präsentierte ich Cartoons von Olaf Rademacher in Hannover, im zentralen Durchgang des Institutsgebäude des bib, einer Fachhochschule für Computerberufe.

gegen Kopfschmerzen

Von dieser Ausstellung fanden sich in A4 großen Briefumschlägen noch Belege, Fotokopien von Zeichnungen, die Olaf zur Auswahl geschickt hatte. Ich war es gewohnt, Originale zu präsentieren und nahm die Kopien lange Zeit auch als Originale. Nur bei sehr penibler Untersuchung der Striche, lassen sich Originale und Kopien auseinanderhalten. Olaf hatte wohl immer nur Kopien an seine Redaktionen geschickt; die Originale waren für den Verkauf an Sammler zurück gehalten, die dann den drei- bis vierfachen Preis des Abdrucks als Illustration erbrachten. Daten oder Titel trugen die Cartoons nicht. Das korrespondiert mit einer verblüffenden Abstraktheit der Figuren und Situationen auf den Cartoons.

Die Figuren sind einzeln und auch durchaus lebendig gezeichnet, aber sie sind gänzlich unindividuell. Sie sind Klone, ohne komplett identisch zu sein. Und alle sind sie, so scheint mir, irgendwie immer Olaf: deutlich und trotzdem schematisch bis vage, handelnd und (scheinbar) denkend, aktiv, aber deutlich nicht selbstbestimmt. Diese letzte Eigenschaft geht komplett an der Person Olaf vorbei. Er ist sehr selbstbestimmt in seinem Leben und Denken.

Stützen der Gesellschaft

enlightenment = Aufklärung

unter den Teppich kehren

Schnittmusterbogen

 

vor dem rettenden Ufer

Die Szenarien der Cartoons kenne ich nur für die Zeit der beiden Jahrzehnte vor und nach der Jahrtausendwende. Die Zeichnungen wurden nie datiert. Ich verstehe sie als eine fortlaufende Aktualität seines Lebens und des politischen Beobachtens.

Tagesaktualitäten treten in den Cartoons von Olaf Rademacher nicht auf. Deshalb sind Daten oder „Zeigefinger“ auf spezifische Ereignisse nicht notwendig. Es geht eigentlich immer um die grundsätzliche Befindlichkeit in unserer = der aktuellen Zeit.

Es gibt eine Reihe von Konstanten in den Cartoons von Olaf Rademacher: keine geschlossenen Räume (es gibt sehr seltene Ausnahmen), keine Physiognomien bei den Figuren, eine Zeitlang trugen die Köpfe alle runde Brillen, vorher oder nachher (beides unsicher) nicht, alle Gegenstände gehören einer traditionellen, alten, weitgehend vergangenen Welt an, auch Fernsehgeräte und Computer gehören dazu, ebenso Pflüge, Leitern, Stühle, Gasmasken, Besen. Es gibt ein sparsames Tierarsenal: gerne Enten, gelegentlich Fische oder auch mal ein Lama-ähnliches Tier.

Überraschend für mich – und dennoch sehr persönlich und „heimisch“ – empfand ich die zahlreichen Wasserszenerien, die mich immer an die biblische Sintflut erinnern. Allerdings auch an den Untergang der „Medusa“, an Kunstgeschichte und tatsächliche Schiffskatastrophen, die nicht nur von Géricault, sondern auch von Max Beckmann gemalt wurden.

 

 

Eine Kunst-Stadt im Tokyoter Bereich

Das Faret Tachikawa Art Projekt

Bei einer Recherche zum israelischen Künstler Menashe Kadisman (1932 – 2015) stieß ich auf eine ausladende Skulptur in der Nähe meines derzeitigen Aufenthaltes; zur drei Stationen mit dem Vorortzug, dann Umstieg in den Tama Monorail und in weniger als 45 Minuten konnte ich dort sein.

Die Arbeit von Kadisman, den ich mehrfach in Deutschland und Israel getroffen hatte, ist Teil des Faret Tachikawa Art Projekts, das um die Mitte der 1990er Jahre geplant und durchgeführt wurde.

Ein professioneller Auftritt im Internet begleitet zeitgemäß gekleidete junge Besucher durch eine moderne Stadt , deren Hochhaus-Aspekte an New York, Chicago oder Los Angeles denken lassen (aufrufbar auch über YouTube). Als Erläuterung des Projects wird durch Schriftzug deutlich gemacht: „…it brings people and place together.“

Der Titel „Faret Tachikawa Art Project“ ließ mich an einen industriellen oder werbetreibenden Sponsor denken. Aber als ein solcher Hintergrund ließ sich nicht finden. Ich fand nur den Namen des verantwortlichen Kurators (art directors), der möglicherweise auch der Initiator war, denn mit ihm verbunden ist die „Art Front Gallery“ mit 50 Mitarbeitern. Fram (eigentlich Furamu) Kitagawa, geboren 1946 startete nach einem Kunststudium in Tokyo 1978 mit einer Antoni Gaudi Ausstellung, die er in 11 japanischen Städten plazieren konnte. Damit war wohl schon die Idee geboren, eine „company active in all apsects of art“ zu gründen – so überschreibt die Art Front Gallery heute ihre Aktivitäten und Ziele. Die Liste der Ausstellungen und Kunstaktionen ist sehr lang.

Warum das Faret Tachikawa Art Project gegründet wurde, wird nirgendwo explizit erläutert, doch mit einigen Puzzle-Stücken erschließt es sich durchaus:

der Ort Tachikawa wurde 1889 im süd-östlichen Gebiet von Tokyo nach der Einführung moderner Kommunalverordnungen gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Amerikaner Japan bereits gezwungen Häfen für den internationalen Handel zu öffnen, was zum Ende des 259 Jahren währenden Tokugawa Shogunats und zur Wiederherstellung der Herrschaft des Tennos führte. Japan modernisierte sich im Stil amerikanischer und europäischer Länder. Der neue Tenno (Mutsuhito) gab als Motto seiner Herrschaft „meiji“ (= aufgeklärte Herrschaft) aus. Es folgten umtriebige diplomatische Auftritte; der erste war 1873 auf der Weltausstellung in Wien. Auf diese Neubesinnung kaiserlicher, demokratisch ummantelter Herrschaft zielt wohl der Hinweis auf die „moderne Gemeindeordnung“ (Wikipedia) ab.

Tachikawa bot ein großes flaches Areal, das von 1922 an von der kaiserlichen Armee als Air field genutzt wurde (Wikipedia, engl.) Von 1929 – 1933 befand sich dort der erste internationale Flughafen von Tokyo. Nach 1933 wurde das Flugfeld nur noch militärisch genutzt und erweitert um eine angrenzende Flugzeugproduktion. Das führte im Zweiten Weltkrieg zu intensiven Angriffen der US Air Force. Nach dem Ende des Krieges übernahmen die Amerikaner den Flugplatz, der dann während des Koreakirges und danach auch für den Vietnam Krieg ein wichtiger Stützpunkt wurde.

1977 ging der Flugplatz wieder an Japan zurück und wurde von der japanischen „Selbstverteidigungs-Luftwaffe“ genutzt. Dabei blieb ein großer Teil des ursprünglichen Gebietes ungenutzt. Ein Teil wurde weiterhin als Evakuierungsflächen bei Erdbeben freigehalten und ein kleiner Teil mit einer neuen „Stadt“ bebaut (japanvisitor.com/tokyo/tachikawa).

Diese neue „Stadt“ wurde am 13. Oktober 1994 geboren und besteht aus 11 Gebäuden, die allesamt kommerzielle genutzt werden: Hotel, Kaufhaus, Kino, Bücherei/Bibliothek oder Verwaltungsgebäude. Vier Jahre später wurde der heute noch intensiv genutzte Monorail (Einschienenbahn) eröffnet.

 

Der neue Bereich vom „alten“ Tachikawa nennt sich Faret Tachikawa. „Faret“ bedeutet fare T(achikawa). Fare ist ein italienisches Verb = tun.

 

Das alte Tachikawa versteckt sich unter alten Bäumen am Rande des Neuen.
Man muss aber in die Nebenstrassen laufen, die still und verschlafen wirken

Dieser neue Tachikawa-Stadtteil, der ja nur durch Arbeits- und Konsumaspekte belebt wurde, konnte zu einer Blaupause für ein neues (nur japanisches?) Stadtleben werden.

Ein kleiner Eindruck von Faret Tachikawa, wenn man aus dem Monorail auf Einfamilienhaus-Dachhöhe aussteigt:

Blick 1 aus der Hochebene des Monorail Bahnhofs

 

Die Füße des Monorail

 

 

 

 

 

Blick 2 auf Faret Tachikawa

 

 

 

Blick 3 auf Faret Tachikawa, mit einem Kunstwerk

 

 

 

 

 

 

Faret is now a model for regional art-based revitalisation“, schreibt Initiator (?) und Kurator Fram Kitawara. Etwa in einem Jahrzehnt wurden 109 Werke von 92 Kündtlers aus 36 Ländern für Faret Tachikawa entwickelt und installiert. – Nach Informationen über Kosten und die Auswahlstrategie habe ich bisher vergeblich gesucht.

Aber ein Spaziergang um die vier Blöcke erweckt Assoziationen und Fragen. Und das ist eine wichtige Kraft von Kunst.

Hier folgen ein paar Beispiele und kurze Kommentare oder Erinnerungen von mir:

Hier sieht man deutlich, dass Kunst gemeint ist. Und man sieht sogar eine doppelte Zeit der Kunstgeschichte: Tendenzen die frühen 1930er und der späten 1970er Jahre.

 

 

 

Hier kommt man ins Grübeln: Kunst oder doch Architektur? Da nirgendwo an den Werken eine Plakette Aufschluß und Auskunft gibt, muß man dem eigenen Wissen oder Gefühl trauen.

Auskunft findet man aber im Internet unter Faret Tachikawa Art Project. Man muß sich durch den dort einsehbaren Lageplan durchklicken.

Ein Teil der großen Wand-Skulptur von Menashe Kadisman (1932 – 2015) mit einem sehr poetischen und existentiellen Hinweise: Tiere lächeln nicht, Menschen schon.

Kadishman hat immer in Gesprächen darauf hingewiesen, dass er erst Schäfer gewesen sei. Ob es stimmt, habe ich nie kontrolliert, denn es war für ihn eine Beschreibung seiner Nähe zu Natur und Natürlichkeit. Beides bedeutete für ihn Menschlichkeit.

Schwer zu entschlüsseln ist dieses Kunstwerk von Marina Abramovic (1936 in Belgrad), der großen Performerin. Die Rosenquarz Steine sind Stand- und Haltepunkte für Hände, Füße und Kopf. Marina Abramovic hat zusammen mit Ulay über viele Jahre die Stille und die Zeit zu Materialien der Kunst gemacht. Als Solo-Performerin schwebte sie danach oftmals im Verharren, einer geistigen Kreuzigung.

Niki de Saint Phalle ist auf sehr andere Art als Marina Abramovic eine Frau, die sich zwischen Märchen und Welt, zwischen Verletzung und Heilung bewegt. Wie Kadishman ist Niki de Saint Phalle den Tieren, ihrer Geschichte, ihren Mythen und ihren Kräften sehr nahe.

Bei diesem Kunstwerk vergeht die Ratlosigkeit der Besucher erst, wenn man beginnt, mit den Gegenständen des Alltags (es sind reale Verbots Poller) zu spielen – sie als wandelbare Elemente zu nutzen.

 

 

 

Dieses Haus-ähnliche Gebilde steht in einer gepflasterten parkähnlichen Raucherecke und erinnerte mich an skulpturale Arbeiten von Per Kirkeby (1938 – 2018).

 

 

Let’s go Pop – die Stadt und ihre Kunst sind hier getreulich vereint.

 

Manchmal spielen die Sonne und die wenigen Bäume in den Straßen  mit der Kunst und geben ihr eine eigene „natürlich“ Aura. Man muß allerdings zur rechten Zeit am Ort sein.

 

 

 

Manchmal fragt man sich beim Flanieren entlang der Straßen von Faret Taxchikawa, wo die Kunst anfängt und die Architektur aufhört oder wo die Architektur zum Rahmen der Kunst wird. Wenn man aber nicht Flaniert, sieht man diese Frage nicht.

Aber: hinter aller Kunst steht immer noch die Wirklichkeit, wenn die Wirklichkeit nicht schon in der Kunst ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Tokyo umzu (1) – Eindrücke eines Spaziergangs

gestaltete Natur zwischen Universität und Einklaufszentrum

 

In der Nähe meines aktuellen Standquartiers zwischen Tama Center und Hashimoto im Großraum Tokyo gibt es neben dem Straßen- und Schienensystem, das ich bisher für meine Ausflüge genutzt habe, ein stilles und nicht gleich sichtbares Wegenetz. Breite straßenähnliche Wege für Fußgänger und Radfahrer verbinden Wohnsiedlungen, die man von den Bahn-Stationen und Einkaufplazas nicht sieht. Bisher habe ich die Menschen einkaufen gesehen, sie aber kaum in ihrer Wohnumgebung erlebt.

Heute spazierte ich endlang ihrer Wohnbereiche und entdeckte viel Grün und vielerlei kuriose Ästhetik.

Ein kleiner Bilderbogen von der Metropolitan University Tokyo bis zum Kamiyugu Park.

Der Park ist der grüne Schopf der höchste Erhebung in der nähern Umgebung: ein Ziel, das man über das autofreie Wegenetz erreicht. Der breite Weg ist flankiert von noch dünnstämmigen Bäumen, hinter denen sich sehr verschiedene Fassaden verstecken. Ich habe den Eindruck, dass der Weg eigenständige kleine Siedlungen verbindet. Gesehen habe ich Eltern(teile) mit kleinen und mit Grundschul-Kindern und alte Leute. Die Wohngebäude wirkten still und stumm. An allen Fassaden waren Balkone zu sehen, aber nirgendwo sah ich eine Nutzung; ich weiß aber, dass sie vor allem der Trockenraum für die Wäsche sind.

Der Himmel war während meines Spaziergangs bedeckt, aber ich kann ermessen, dass die Wege auch bei Sonne schattig sind. Grundschulen und Sporthallen flankieren den Weg. Zum Einkaufen muß man vermutlich auf die höher gelegenen Ebenen des Durchgangsverkehrs wechseln oder zur Plaza an die nächste Bahnstation.

Nur Grün und nur Hausfassaden ist vermutlich nicht genug. Entlang des Weges fand ich im Abstand weniger hundert Meter skulpturale Elemente, die mir nicht vermittelten, dass sie Kunst sind, aber auch nicht Spielgerät oder Zeugen einer unerklärlichen Vergangenheit.

Trennung von Grün und grau – japanische Ästhetik im Alltag?

 

geschlossene Idylle

 

Fensteridyll mit Blick zur Straße

Sitzbank? Spiel-Landschaft? Kunstwerk?

 

Wohnen wie in Wanne-Eickel. Mir fallen die alten Bergmanns-Siedlungen ein.

Ein sommertrockener Wasserfall, natürlich künstlich.

Leider keine Kletterwand

Balkone nur als Wäsche-Trockenraum

Charakterisiert ein Entenschnabel eine Ente? Eine offene Frage und ein offenes Volumen.

Steinhaufen in Form eines Schuhs, bewußt geformt und als Paar um eine öffentliche Toilette aufgestellt

Ein Innenhof mit deutlichem Zugang zur Außenwelt. Leben im Gegensätzlichen.