31. Januar 2016 der letzte Tag der Ausstellung

Shoko Sakai: Arbeitstisch mit Kamera aus Papier
Sechs Stunden ging ich durch viele Ausstellungsräume im Tokyo Metropolitan Art Museum, und der Univeristy of Arts, um mir Abschlußarbeiten von Studenten anzusehen.
Die Fülle der Eindrücke ist kaum zu bewältigen. Zu Beginn glaubte ich, Farbigkeit, Stil und Material bis zu einer persönlichen Aus- wertung im Gedächtnis behalten zu können. Nach den ersten zehn Sälen war davon nicht mehr viel übrig geblieben.
Die Präsentation der Arbeiten war professionell, die Materialbe- handlung überwiegend ebenfalls. Das Studium in freier Kunst, Architektur und Design ist deutlich auf die Beherrschung von Material, Mitteln und Technik angelegt. Die Frage von Innovation und Bandbreite der Phantasie kann ich nur beantworten, wenn ich meine Kenntnisse und Erwartungen zum Maßstab mache.
Ich stelle einige Aspekte und Beispiele aus dem Bereich des Design, auch vermischt mit Überschneidungen zur Malerei, vor. Eine zweiter Beitrag soll dann Aspekte der Architektur zeigen.

eine Gehhilfe, durchdacht und formschön_Oya Tomoyuki
Gedacht
Auf Grund meiner Fotos haben mich die Aspekte home/house, sitting + representing, paper folding, fashion beeindruckt. Zusätzlich ein Spielzeug Design für Kleinkinder.
Gedacht für Kleinkinder, aber auch ein anregendes, schönes Spiel für Mütter und Väter (sie waren begeisterter als die Kleinen). Der Produkt(?)Name „FELPA“ bedeutet im Italienischen und Spanischen Frottee und Gewebe (auch T-Sirt), aber hier gab es keine weitere Auskunft, wer dahinter steht.


FELPA 2

eine Plüschgewebe-Spielzeugwelt
Meine Augen haben beim sehr gemächlichen Durchschreiten der Räume nach dem mir Bekannten und dem Neuen, dem kulturell Erstaunlichen oder Überraschenden gesucht. Das führt zu einer groben Auswahl und Unterteilung, die manchmal dennoch nur durch nuancierte Betrachtung zusammen kommt.

Theater-Haus
Ein Beispiel dafür ist die Präsentation kleiner quadratische Malerei einer BA Absolventin, die vielfältige Formen von Wohnmöglich- keiten / Häusern darstellen. Leider habe ich keinen Namen der jungen Absolventin. Die Studentin bestätigte mir den Ausgangs- und Zielpunkt „Haus“, der hier eindeutig nicht im architektonischen Verständnis verankert ist.
Werbungs-Assamblage mit Lincoln Sessel und Autor
Stühle waren nicht sehr häufig vertreten, denn das Sitzen hat im Alltagsleben der Japaner keine so ausgeprägte Bedeutung wie bei uns. Vielsagend war für mich eine Assamblage amerikanischer Werbemittel um einen Sessel á la Abraham Lincoln. Er forderte ausdrücklich zum „besitzen“ und fotografieren auf und mein Hinweis auf Abraham Lincoln wurde von einem älteren Besucher lächelnd und zustimmend unterstrichen.

Human Package nennt Ryosuke Kuga dieses Steh-Haus, hier mit Midori, die mich beleitete
Das „Stehen“ und „Präsentieren“ ist eher ein Teil der japanischen Kultur des Alltags. Daher ist „Human Package“ von Kuga Ryosuke ein kräftiger Hinweis auf die Anforderungen des Lebens.
Mich erinnerte das gleich an die erste Präsentation von Timm Ulrichs (Hannover) auf der Juryfreien Ausstellung 1961 in Berlin, bei der er sich in einem Glaskasten sitzend als Kunstwerk präsentierte. In Tokyo sah ich wahrscheinlich das Gegenteil dieser Devise.
Fashion
Aktuell sind in Japan auch immer wieder deutliche Bezüge zur Tradition. Die Designerin Ami Kasuya gestaltete ein sehr zeitgenössisches Haargesteck, das aus der Geisha- und Teezeremonie-Tradition kommt; heute wird es vor allem zum Brautkleid getragen, erinnerte mich aber auch an die Alltagssituation, dass das Gesicht von Frauen gern mit Mundschutz, Hüten und Mützen fast verdeckt wird. Hier bleibt, aus europäischer Sicht, ironischerweise der Mund unbedeckt, der in Japan gern verdeckt wird.


Sehr klar wird in einem auffallenden Fashion Beitrag, dass zum Kleid immer auch ein Umfeld gehört. Für die Werbung trifft das eindeutig zu, für den Alltag vielleicht nur in dem Sinne, dass die Kleidung auch ein Umfeld evozieren soll. Alltagskleidung ist der Versuch einer kultur-assoziativen Collage mit Gesamtkunstwerksanspruch.

Zum Kleid gehört das richtige Umfeld
So stellt sich uns Japan immer wieder gerne vor.
Foldings
Das Falten, nicht nur von Papier, ist in der japanischen Kultur immer noch vorhanden. In der Ausstellung fand ich zwei interessante Beispiele:
Eine Reihe von tatsächlichen Papierfaltungen, die offensichtlich die Vielfalt von Strukturen aufzeigen wollten, mir aber den Hinweis aufdrängten, dass man aus vielen dieser „Hohlformen“ sehr interessante Geschirre entwickeln könnte.

Sayoko Matsuda_foldings_1
Das würde allerdings die Präsentation der Speisen und auch ihre Gewichtung in Rhythmus und Ablauf unserer Ess-Rituale verändern.

Umhänger_Riko Taniwaki
Das zweite Beispiel zeigt bereits eine Umsetzung von „Faltungen“, in eine offene und eine verschließbare Umhängetasche.
Die offene Tasche ist nicht so sehr ungewöhnlich, denn in den Zügen findet man sehr viele Männer und Frauen, die ihre Taschen offen (zum Teil weit offen) haben, des eigenen raschen Zugriffs wegen.
Von der Gleichzeitigkeit der inneren und äußeren Welt
Im Bereich der Architektur traf ich auf die einzige Raumgestaltung. Es war ein farbiges Spiel von Wand- und Standarbeiten, die in einer Malerei einen Weg zur inneren Welt der „Mütter“ (Faust im deutschen Hinterkopf) zeigte. Bereits im ersten Raum hatte ich eine ähnliche, große Malerei gesehen, bei der das Kleid die innere Welt eröffnete (Frida Kahlo zitierend). Die Designerin Anri Okada nimmt überall Anregungen auf, bei bekannten (Niki de Saint Phalle, Frida Kahlo) und unbekannten (tribel art) Gestaltern. Ihr Raum ist anregend welt-kulturell und in alle Richtungen expansionsfähig. Er fasst Kulturen zusammen und bleibt dennoch offen.


Anri Okada