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Eine Kunst-Stadt im Tokyoter Bereich

Das Faret Tachikawa Art Projekt

Bei einer Recherche zum israelischen Künstler Menashe Kadisman (1932 – 2015) stieß ich auf eine ausladende Skulptur in der Nähe meines derzeitigen Aufenthaltes; zur drei Stationen mit dem Vorortzug, dann Umstieg in den Tama Monorail und in weniger als 45 Minuten konnte ich dort sein.

Die Arbeit von Kadisman, den ich mehrfach in Deutschland und Israel getroffen hatte, ist Teil des Faret Tachikawa Art Projekts, das um die Mitte der 1990er Jahre geplant und durchgeführt wurde.

Ein professioneller Auftritt im Internet begleitet zeitgemäß gekleidete junge Besucher durch eine moderne Stadt , deren Hochhaus-Aspekte an New York, Chicago oder Los Angeles denken lassen (aufrufbar auch über YouTube). Als Erläuterung des Projects wird durch Schriftzug deutlich gemacht: „…it brings people and place together.“

Der Titel „Faret Tachikawa Art Project“ ließ mich an einen industriellen oder werbetreibenden Sponsor denken. Aber als ein solcher Hintergrund ließ sich nicht finden. Ich fand nur den Namen des verantwortlichen Kurators (art directors), der möglicherweise auch der Initiator war, denn mit ihm verbunden ist die „Art Front Gallery“ mit 50 Mitarbeitern. Fram (eigentlich Furamu) Kitagawa, geboren 1946 startete nach einem Kunststudium in Tokyo 1978 mit einer Antoni Gaudi Ausstellung, die er in 11 japanischen Städten plazieren konnte. Damit war wohl schon die Idee geboren, eine „company active in all apsects of art“ zu gründen – so überschreibt die Art Front Gallery heute ihre Aktivitäten und Ziele. Die Liste der Ausstellungen und Kunstaktionen ist sehr lang.

Warum das Faret Tachikawa Art Project gegründet wurde, wird nirgendwo explizit erläutert, doch mit einigen Puzzle-Stücken erschließt es sich durchaus:

der Ort Tachikawa wurde 1889 im süd-östlichen Gebiet von Tokyo nach der Einführung moderner Kommunalverordnungen gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Amerikaner Japan bereits gezwungen Häfen für den internationalen Handel zu öffnen, was zum Ende des 259 Jahren währenden Tokugawa Shogunats und zur Wiederherstellung der Herrschaft des Tennos führte. Japan modernisierte sich im Stil amerikanischer und europäischer Länder. Der neue Tenno (Mutsuhito) gab als Motto seiner Herrschaft „meiji“ (= aufgeklärte Herrschaft) aus. Es folgten umtriebige diplomatische Auftritte; der erste war 1873 auf der Weltausstellung in Wien. Auf diese Neubesinnung kaiserlicher, demokratisch ummantelter Herrschaft zielt wohl der Hinweis auf die „moderne Gemeindeordnung“ (Wikipedia) ab.

Tachikawa bot ein großes flaches Areal, das von 1922 an von der kaiserlichen Armee als Air field genutzt wurde (Wikipedia, engl.) Von 1929 – 1933 befand sich dort der erste internationale Flughafen von Tokyo. Nach 1933 wurde das Flugfeld nur noch militärisch genutzt und erweitert um eine angrenzende Flugzeugproduktion. Das führte im Zweiten Weltkrieg zu intensiven Angriffen der US Air Force. Nach dem Ende des Krieges übernahmen die Amerikaner den Flugplatz, der dann während des Koreakirges und danach auch für den Vietnam Krieg ein wichtiger Stützpunkt wurde.

1977 ging der Flugplatz wieder an Japan zurück und wurde von der japanischen „Selbstverteidigungs-Luftwaffe“ genutzt. Dabei blieb ein großer Teil des ursprünglichen Gebietes ungenutzt. Ein Teil wurde weiterhin als Evakuierungsflächen bei Erdbeben freigehalten und ein kleiner Teil mit einer neuen „Stadt“ bebaut (japanvisitor.com/tokyo/tachikawa).

Diese neue „Stadt“ wurde am 13. Oktober 1994 geboren und besteht aus 11 Gebäuden, die allesamt kommerzielle genutzt werden: Hotel, Kaufhaus, Kino, Bücherei/Bibliothek oder Verwaltungsgebäude. Vier Jahre später wurde der heute noch intensiv genutzte Monorail (Einschienenbahn) eröffnet.

 

Der neue Bereich vom „alten“ Tachikawa nennt sich Faret Tachikawa. „Faret“ bedeutet fare T(achikawa). Fare ist ein italienisches Verb = tun.

 

Das alte Tachikawa versteckt sich unter alten Bäumen am Rande des Neuen.
Man muss aber in die Nebenstrassen laufen, die still und verschlafen wirken

Dieser neue Tachikawa-Stadtteil, der ja nur durch Arbeits- und Konsumaspekte belebt wurde, konnte zu einer Blaupause für ein neues (nur japanisches?) Stadtleben werden.

Ein kleiner Eindruck von Faret Tachikawa, wenn man aus dem Monorail auf Einfamilienhaus-Dachhöhe aussteigt:

Blick 1 aus der Hochebene des Monorail Bahnhofs

 

Die Füße des Monorail

 

 

 

 

 

Blick 2 auf Faret Tachikawa

 

 

 

Blick 3 auf Faret Tachikawa, mit einem Kunstwerk

 

 

 

 

 

 

Faret is now a model for regional art-based revitalisation“, schreibt Initiator (?) und Kurator Fram Kitawara. Etwa in einem Jahrzehnt wurden 109 Werke von 92 Kündtlers aus 36 Ländern für Faret Tachikawa entwickelt und installiert. – Nach Informationen über Kosten und die Auswahlstrategie habe ich bisher vergeblich gesucht.

Aber ein Spaziergang um die vier Blöcke erweckt Assoziationen und Fragen. Und das ist eine wichtige Kraft von Kunst.

Hier folgen ein paar Beispiele und kurze Kommentare oder Erinnerungen von mir:

Hier sieht man deutlich, dass Kunst gemeint ist. Und man sieht sogar eine doppelte Zeit der Kunstgeschichte: Tendenzen die frühen 1930er und der späten 1970er Jahre.

 

 

 

Hier kommt man ins Grübeln: Kunst oder doch Architektur? Da nirgendwo an den Werken eine Plakette Aufschluß und Auskunft gibt, muß man dem eigenen Wissen oder Gefühl trauen.

Auskunft findet man aber im Internet unter Faret Tachikawa Art Project. Man muß sich durch den dort einsehbaren Lageplan durchklicken.

Ein Teil der großen Wand-Skulptur von Menashe Kadisman (1932 – 2015) mit einem sehr poetischen und existentiellen Hinweise: Tiere lächeln nicht, Menschen schon.

Kadishman hat immer in Gesprächen darauf hingewiesen, dass er erst Schäfer gewesen sei. Ob es stimmt, habe ich nie kontrolliert, denn es war für ihn eine Beschreibung seiner Nähe zu Natur und Natürlichkeit. Beides bedeutete für ihn Menschlichkeit.

Schwer zu entschlüsseln ist dieses Kunstwerk von Marina Abramovic (1936 in Belgrad), der großen Performerin. Die Rosenquarz Steine sind Stand- und Haltepunkte für Hände, Füße und Kopf. Marina Abramovic hat zusammen mit Ulay über viele Jahre die Stille und die Zeit zu Materialien der Kunst gemacht. Als Solo-Performerin schwebte sie danach oftmals im Verharren, einer geistigen Kreuzigung.

Niki de Saint Phalle ist auf sehr andere Art als Marina Abramovic eine Frau, die sich zwischen Märchen und Welt, zwischen Verletzung und Heilung bewegt. Wie Kadishman ist Niki de Saint Phalle den Tieren, ihrer Geschichte, ihren Mythen und ihren Kräften sehr nahe.

Bei diesem Kunstwerk vergeht die Ratlosigkeit der Besucher erst, wenn man beginnt, mit den Gegenständen des Alltags (es sind reale Verbots Poller) zu spielen – sie als wandelbare Elemente zu nutzen.

 

 

 

Dieses Haus-ähnliche Gebilde steht in einer gepflasterten parkähnlichen Raucherecke und erinnerte mich an skulpturale Arbeiten von Per Kirkeby (1938 – 2018).

 

 

Let’s go Pop – die Stadt und ihre Kunst sind hier getreulich vereint.

 

Manchmal spielen die Sonne und die wenigen Bäume in den Straßen  mit der Kunst und geben ihr eine eigene „natürlich“ Aura. Man muß allerdings zur rechten Zeit am Ort sein.

 

 

 

Manchmal fragt man sich beim Flanieren entlang der Straßen von Faret Taxchikawa, wo die Kunst anfängt und die Architektur aufhört oder wo die Architektur zum Rahmen der Kunst wird. Wenn man aber nicht Flaniert, sieht man diese Frage nicht.

Aber: hinter aller Kunst steht immer noch die Wirklichkeit, wenn die Wirklichkeit nicht schon in der Kunst ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Japanische Höflichkeit oder Problemlösung auf japanisch

Sie ist sprichwörtlich, die japanische Höflichkeit. Wer einmal in Japan war, kennt das leichte Nicken mit dem Kopf, die leichte Seitwärtsbewegung eines Mannes oder einer Frau, die einem entgegen kommen und einen selbst schon mal gesehen haben oder aber den Ausländer auf diese Weise willkommen heißen.

Zur Höflichkeit gehört auch, dass man auf alles mögliche hingewiesen wird: im Zug, wen man bei Notfällen oder beim Beobachten von Ungewöhnlichem kontaktieren soll, an der Supermarktkasse auf den Betrag seines Einkaufs, den man als Nicht-Japaner so rasch als korrekt nicht realisieren kann, bevor man die „confirm“-Tasdte drücken soll und an Baustellen mit sichtbarem Aufwand an Menschen und Material, wohin man seine Schritte unbedingt wenden und ob und wie lange man stehen bleiben muss.

Als Ausländer ist man immer in Gefahr, eines der vielen ungeschriebenen und unbekannten Verhaltensmuster verletzt zu haben.

Gerade beim beliebten JR Rail Pass, der das Reisen in Japan preiswert und vielfach einfach macht, werden dabei womöglich auch irreführende Missverständnisse eingebaut. Bei den vorangegangenen drei Reisen habe ich mit den Rail Pässen gute Erfahrungen gemacht. Bei dem jetztigen Aufenthalt führte mich meine Suche auf neue Anbieterseiten, deren europäische Standorte ich der Anbieterseite erst nach der Buchung entnehmen konnte.

Ich buchte u.a. einen JR East-South Hokkaido Rail Pass, denn ich wollte mich gezielt durchs Land bewegen. Auf der Innenseite befindet sich eine Landkarte mit Städten und Verbindungen. Welche Verbindlichkeit die Ortsnamen und Streckenlinien haben, wird nicht deutlich ausgeführt. Dafür wird aber darauf hingewiesen, dass bei etwaigen Übersetzungsfehlern ins Englische, Chinesische und Koreanische die japanische Version bindend ist. [„If the English, Chinese (traditionell or simplified) or Korean translation of these conditions of carriage is queried, the Japanese version shall be considered correct.“]

Es ist wie an der Supermarkt Selbstbedienungskasse: wenn ich den Kassenzettel noch nicht ordentlich geprüft habe und dennoch bei „confirm“ gedrückt habe, gibt es keine Möglichkeit des Einspruchs mehr. Fehler machen Japaner nicht! Wenn sie aber trotzdem entstehen, versucht man unter allen Umständen recht zu haben, danach aber nicht unbedingt zu handeln.

Ich buchte von Akita nach Niigata ein Ticket, das ich erhielt. Niigata war aber als Namen nicht auf der kleinen Landkarte verzeichnet. Es irritierte mich nicht, weil ich nicht davon ausging, dass alle möglichen Haltepunkte des Gebietes aufgeführt sind.

Beim Ein- und Austreten der Bereiche der verschiedenen Linien muss man den Rail Pass vorzeigen. In Niigata gab es dabei keine Reaktion – der Bahnhof kam mir sehr unübersichtlich vor, ich mußte mehrfach nach dem Ausgang fragen. Plötzlich stand ich außerhalb des Bereiches der verschiedenen Zug-Gesellschaften. Ich ging gleich zum JR Rail Pass Schalter und orderte für meine Weiterfahrt zwei Tage später Karten nach Toyoshima, einer kleinen Station in den japanischen Alpen. Bis dahin mußte ich dreimal umsteigen, in Takasaki, Nagano und als letztes Matsumoto.

In mein Tagebuch schrieb ich, meine Tochter, die im Großraum Tokyo lebt, hat sehr gute Vorarbeit geleistet, „die sehr hilfreiche junge Frau in Niigata konnte auch keine bessere Verbindung finden. Sie hatte sich immer wieder entschuldigt, wenn sie wegging, um etwas nachzuschauen. Es störte mich nicht, ich hatte Zeit, in meinem Hotel konnte ich erst um 15.00 Uhr einchecken. Es war schön zu sehen, wie die junge Frau, die meine Fahrkarten zusammenstellte nach jedem Gang, den sie vom Schalter weg machen mußte, lächelnder, fröhlicher und erleichterter zurück kam. Ich habe sie als sehr herzlich empfunden. Sie kam mir sogar noch nachgelaufen, weil sie mich ein klein wenig falsch zum Hotel geschickt hatte. Ich hätte es wenige Schritte weiter gemerkt, aber so war es nochmals ein herzliches gegenseitiges Anlachen.“

In Takasaki wurde ich angehalten mit dem Hinweis, dass mein JR Pass hier nicht gültig sei. Ich verwies auf meine gültigen Tickets und die Umstände des Erwerbs. Man ließ mich warten. In letzter Minute schickte man mich mit einem handgeschriebenen Begleitzettel zum Bahnsteig.

In Nagano erhielt ich erneut den Hinweis, dass mein JR Pass hier nicht gültg sei. Ich wiederholte meine bisherigen Argumente. Man mußte, wie schon in Takasaki, mit dem „Chef“ sprechen. Ich hatte zwar 45 Minuten Zeit zum Umsteigen, aber es wurde zeitlich immer enger. Kurz vor Abfahrt des Zuges wurde ich nochmals vertröstet. Also eine Stunde Wartezeit auf den nächsten Anschluß. Die Zeit verstrich, meine Gesprächspartnerin kam von einer anderen Seuite (in meinem Rücken – zufällig oder bildhaft bedeutsam?) und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sie legte einen typisch japanischen Eilschritt vor, führte mich um Sperren herum und brachte mich an den Zug, der jeden Moment abfahren mußte. Als die Türen sich schlossen, verschwand sie wieder. In Matsumoto wurde ich wieder am Ausgang auf die Ungültigkeit des Passes angesprochen. Ich schaute den Mann wenig überrascht an und sagte ihm, er wäre der Dritte heute. Er lachte, nahm mir das ticket aus der Hand und ließ mich gehen.

Ich war nun einen halben Tag ohne die Berechtigung mit meinem JR Rail Pass unterwegs und wurde hier, vor der letzten kurzen Wegstrecke (Yen 230) aus- oder abgeschoben.

Das ist eine noble Form, sich aus der Bedrouille zu ziehen, denn an allen Stationen wurde mir gesagt „it’s your fault“. Ich musste bei jedem Umsteigen vor allem konzentriert und freundlich kooperativ, aber vor allem bestimmt sein.

War es für die JR Mitarbeiter(innen) unmöglich zu sehen, dass sich zwei Fehler ineinaner verhakt hatten? Ich hatte auf die Richtigkeit vertrauten können, dass es korrekt war, nachdem ich die Tickets für die drei Teilstrecken ab Niigata, das ich ja nicht hätte erreichen dürfen, erhielt und man hatte mir zwar zur eigenen Reinwachsung zweimal gesagt, es wäre meine Schuld, aber diese Schuld wurde mir nicht nachgewiesen. Man brachte mich statt dessen so weit irregulär in die Züge, bis ich außerhalb des Netzes der schnellen Züge war. Danach wird anders kontrolliert und die Bahnsteige sind auch durch andere Eingänge erreichbar. Man entzog mich der regulären Kontrolle an den Eingängen und bestrafte mich zumindest einmal mit einer (bewußten?) Zeitverzögerung.

Als ich das System endlich verstand, war ich schon aus dem Geltungsbereich heraus. Ich kaufte mir für den letzten Abschnitt eine neue Fahrkarte für den Preis von 230 Yen (knapp 3€).

Nachdenken über einen Waldspaziergang

Zurück vom alten „Tokaido“, dem Weg zwischen Kyoto und Edo.

In meinen Rücksack am Morgen hatte ich einen kleinen Leinenbeutel eingesteckt, als Behälter für irgend etwas unterwegs. Er stamm von einem Treffen mit Reinhold Messner, als er auf der EXPO 2000 in Hannover sein „Yetiland“ vorstellte.

Ich war in Hakone, um ein kleines Stück den alten Verbindungsweg zwischen Kyoto und Edo zu gehen, dem Weg zwischen der Kaiserresidenz (Kyoto) und dem Regierungssitz (Edo / Tokyo). Hakone war die 10. Gasthaus-Station auf diesem Weg.

Am Ende des Tages sinniere ich darüber nach, was ich Reinhold Messner in Hannover nicht gefragt habe: Warum Berge für die Menschen (auch) göttlichen Charakter haben.

Das kleine Auf und Ab an Bergjängen bei meiner heutigen Wanderung ist dabei sicherlich nebensächlich, aber es verbindet sich doch mit dem spirituellen Japan, dem Geist seiner Kultur. Steine und Berggipfel spielen dabei eine wichtige Rolle.

Auf dem Weg fand ich zwei kleine Steinpyramiden – Wegmarken oder Gebete von Reisenden, so wie ich sie vielfältig auch in Korea gesehen habe und aus der Literatur auch von Mittelamerika her kenne. Mystisch ist der Weg zwischen dem Ashi See und Hakone sicher nicht, aber er ist beschwerlich und für uns etwas anderes als ein Handelsweg oder eine Informationsader – es war ja die Kommunikationsader zwischen den vielfach rivalisierenden Machtorten der Shokugawa-Zeit.

Aber es ist ein Weg durch viel Wald, heiter und düster, über Stock und Stein. Und er erinnert an die Straßen der Römer, die deutlich älter sind (etwa 1.600 Jahre plus), ebenso wie an die Wald-Stimmung, die Friedrich Schiller in seiner Ballade „Die Kraniche des Ibykus“ (1797) beschwört und mit einem göttlichen Zeichen am Himmel verbindet.

Im Wald am Wegesrand Zeichen zu hinterlassen ist für die Menschen in unserer Vergangenheit etwas Bindendes zwischen Göttlichem/ Natürlichem und Menschlichem / Kreatürlichem gewesen.

Ich habe heute etwas davon erlebt.

Aber das erste, was ich in Hakone gesehen hatte, war ein Touristenschiff im Stil der Galeonen.

Touristenschiff im Stil der Galleonen

Wer den alten Weg von Edo nach Kyoto heute noch ein Stück weit beschreiten möchte, dem wird empfohlen, mit dem Bus vom Bahnhof Hakone-Yumato nach Motohakone-Ko an den Ashi See zu fahren. Der Rückweg vom See zum Bahnhof, so erklärte mir eine erfahrene Frau in der Touristeninformation, ist der bessere, denn da läuft man bergab.

Ich habe das befolgt. Was mich allerdings eine Zeitlang durch den kleinen Ort am See streifen ließ, war das Fehlen jeglicher Hinweise auf den Eingang zum alten Tokaido-Weg. Nach diesem Weg übrigens ist der erste Shinkansen (1964) benannt worden. Er führt nicht nur über die alten Regierungsstädte Edo/Tokyo nach Kyoto, sondern entlang der Ostküste bis hinunter nach Kagoshima am nördlichsten ZIpfel von Kyushu.

Dieses Suchen nach einer Touristen Information (Fehlanzeige) oder einem Hinweisschild trieb mich rastlos durch die Straßen und um die Häuser. Dabei entdeckte ich das Anlegen dieses beeindruckenden rot-Gold glänzenden Touristenschiffes.  Hakone ist vor allem ein Touristenort mit weit überwiegend japanischen Touristen.

Das Schiff wirkt auf die japanischen Touristen sicher abenteuerlich, denn es entspricht in etwa den Schiffen, mit denen die ersten iberischen Europäer 1543 in Japan strandeten und später landeten. Diese Schiffe vom Typ Galeone wurden 1535 erstmals erwähnt und sollen der Schiffstyp sein, mit dem Kolumbus den Seeweg nach Osten erkunden wollte und in Amerika anlandete.

Mit einem dieser Schiffe landete die ersten Portugiesen in Kagoshima, dem Endpunkt der Tokaido-Shinkansen.

Nach mehrfachen Auf und Ab entlang der Durchgangsstraße fand ich dann doch einen Hinweis –

Endlich ein Hinweis

sehr versteckt.

Frohgemut folgte ich dem Weg, wunderte mich allerdings über seine Enge und die Stufen auf Baumwurzeln. Schön war der steile Anfang dennoch.

Schönheit am falschen Weg

Es kamen mir mit jedem weiteren Schritt Zweifel. Dann hörte ich irgendwo zwischen den Bäumen amerikanische Leute. Ein junges Paar kam mir entgegen, die ebenfalls diesem Weg nicht den Charakter des Tokaido zutrauten. Wir suchten nun gemeinsam den richtigen „Eingang“. Die Karte auf dem Smartphone des jungen Amerikaners sowie auch die Auskunft eines japanischen Ladenbesitzers führten uns das auf den richtigen Weg.

Der Weg war anfangs eine breite Straße, wechselte dann auch zu einem Waldweg, aber nach einiger Zeit wurde es tatsächlich ein historischer Weg.

Dicke, grob behauene Steine bildeten eine feste Decke zwischen tiefe Rinnen an beiden Seiten.

Der Weg erinnerte mich jetzt an alte römische (Heer)Straßen. Der intensive regen der vergangenen Wochen hatte die Steine mit einer sehr glitschigen feuchten Schicht überzogen.  Wir konnten nur langsam, oft nur zögernd gehen.

Bergab waren die Steine sehr glitschig

Wir schritten durch grün getünchte Korridore. Gedanken an die tatsächlichen Reise-(un)be-quemlichkeiten der Tokugawa-Zeiten kamen mir nicht in den Sinn; jedes Bild dafür wäre zu abenteuerlich gewesen.

Man vergisst die Zeit beim Laufen durch den nicht sehr dichten Wald, aber gelegentlich wird man von kleinen Wegmarken angehalten.

Der erste Hinweis darauf, dass Menschen diesen Weg schon vor uns benutzt hatten, war diese kleine, fast unscheinbare Steinpyramide.

Übersehen konnte man diese drei kleinen moosüberzogenen Steinstelen.

Bemooste Stelen

Der linke Stein ist recht deutlich ein Gorinto, ein Fünf-Ringe Turm, der häufig als Ehrenzeichen für einen Toten gesetzt wird. Die beiden anderen Steine haben vermutlich einen ähnlichen Charakter. Der Gorinto wurde gern als Kenotaph benutzt, als „leeres Grab“, das Todesorte kennzeichnete oder auch als eine wünschenswerte Grabstelle eines Verstorbenen. Man konnte mit Gebeten die Toten in diesen Grab rufen.

Erinnerungsstein

Zu diesem Stein weiß ich nichts, aber seine stille Existenz und die hinterlassenen 1 Yen Geldstücke ordnen ihn in die Reihe der Erinnerungs- /Gedenksteine dieses Wegabschnittes ein.

„Der Weg ist das Ziel“ heißt es zuweilen gern; für mich führte der „Weg“ (s.o.) in Erinnerungen und Gedanken, somit ebenso zurück wie nach vorne.

Tokyo umzu (1) – Eindrücke eines Spaziergangs

gestaltete Natur zwischen Universität und Einklaufszentrum

 

In der Nähe meines aktuellen Standquartiers zwischen Tama Center und Hashimoto im Großraum Tokyo gibt es neben dem Straßen- und Schienensystem, das ich bisher für meine Ausflüge genutzt habe, ein stilles und nicht gleich sichtbares Wegenetz. Breite straßenähnliche Wege für Fußgänger und Radfahrer verbinden Wohnsiedlungen, die man von den Bahn-Stationen und Einkaufplazas nicht sieht. Bisher habe ich die Menschen einkaufen gesehen, sie aber kaum in ihrer Wohnumgebung erlebt.

Heute spazierte ich endlang ihrer Wohnbereiche und entdeckte viel Grün und vielerlei kuriose Ästhetik.

Ein kleiner Bilderbogen von der Metropolitan University Tokyo bis zum Kamiyugu Park.

Der Park ist der grüne Schopf der höchste Erhebung in der nähern Umgebung: ein Ziel, das man über das autofreie Wegenetz erreicht. Der breite Weg ist flankiert von noch dünnstämmigen Bäumen, hinter denen sich sehr verschiedene Fassaden verstecken. Ich habe den Eindruck, dass der Weg eigenständige kleine Siedlungen verbindet. Gesehen habe ich Eltern(teile) mit kleinen und mit Grundschul-Kindern und alte Leute. Die Wohngebäude wirkten still und stumm. An allen Fassaden waren Balkone zu sehen, aber nirgendwo sah ich eine Nutzung; ich weiß aber, dass sie vor allem der Trockenraum für die Wäsche sind.

Der Himmel war während meines Spaziergangs bedeckt, aber ich kann ermessen, dass die Wege auch bei Sonne schattig sind. Grundschulen und Sporthallen flankieren den Weg. Zum Einkaufen muß man vermutlich auf die höher gelegenen Ebenen des Durchgangsverkehrs wechseln oder zur Plaza an die nächste Bahnstation.

Nur Grün und nur Hausfassaden ist vermutlich nicht genug. Entlang des Weges fand ich im Abstand weniger hundert Meter skulpturale Elemente, die mir nicht vermittelten, dass sie Kunst sind, aber auch nicht Spielgerät oder Zeugen einer unerklärlichen Vergangenheit.

Trennung von Grün und grau – japanische Ästhetik im Alltag?

 

geschlossene Idylle

 

Fensteridyll mit Blick zur Straße

Sitzbank? Spiel-Landschaft? Kunstwerk?

 

Wohnen wie in Wanne-Eickel. Mir fallen die alten Bergmanns-Siedlungen ein.

Ein sommertrockener Wasserfall, natürlich künstlich.

Leider keine Kletterwand

Balkone nur als Wäsche-Trockenraum

Charakterisiert ein Entenschnabel eine Ente? Eine offene Frage und ein offenes Volumen.

Steinhaufen in Form eines Schuhs, bewußt geformt und als Paar um eine öffentliche Toilette aufgestellt

Ein Innenhof mit deutlichem Zugang zur Außenwelt. Leben im Gegensätzlichen.

 

 

Meditative Wimmelbilder

Katalog-Cover und Motiv des Plakats

Auf einem der Bahnhöfe im Tokyoter Umland lockte mich ein farbiges Plakat mit afrikanischer Figuration und ansonsten nur japanischen Schriftzeichen zu näherer Betrachtung. Hinweise, um was es ging, konnte ich den mir unbekannten Schriftzeichen nicht entnehmen. Eine Japanerin, die in der Nähe stand war hilfsbereit und ich erfuhr, dass es sich um eine Ausstellung im Museum der Tama Art University handelte, die noch zu sehen ist.

Ich empfand Vorfreude auf einen Besuch in Tama Center, das ich schon vor zwei Jahren besucht hatte und auf schöne farbige Skulpturen von Niki de Saint Phalle getroffen war, der französisch-amerikanischen Künstlerin. Meine Begegnungen mit Niki de Saint Phalle sind wir teure Erinnerungen, und das war eine zusätzliche Motivation.

Das Museum der Kunst Universität steht direkt neben der Benesse Verwaltung, der Eigentümerin der Berlitz School und der Figuren von Niki.

Skulptur von Niki de Saint Phalle

 

 

 

Auf zwei Stockwerken, in vier mittelgroßen Räumen sind Teile der Afrika Sammlung von Kenji Shiraishi präsentiert, einem „führenden Afrika Kenner“ (sagt der Katalog).

 

 

Die Ausstellung erfreut und überzeugt, aber sie hat auch die Tendenz, die Besucher zu überfordern. Im ersten Raum, gleich rechts hinter dem Eingangsbereich, ist ein großes sieben-teiliges Wandbild, das von traditionellen Holzskulpturen und beeindruckend ornamentierten Filz- und Bast-Matten zu einem ruhigen und schöner Eintritt in eine fremde Welt arrangiert worden. Es ist keine Welt, die unverständlich, aber von uns unerlebt ist. Wir kennen sie bestenfalls durch Abbildungen.

Ein Teil aus dem Wandbild von Abdul Amonde Mkura von 1992

Der Raum wird durch das siebenteilige Wandbild von Abdul Amonde Mkura (geb.1954) dominiert, das er im Jahr seines ersten Japanbesuches, 1992, malte. Die aneinander gereihten Bildtafeln sind mittig im erzählerischen Sinne geteilt: unten sieht man eine Abfolge ländlichen Lebens, oben eine Paraphrase aus der Welt der Tiere und Fabelwesen. Es vermengen sich auf beiden Bildebenen zeitgenössisches und archaisches Leben. Im oberen naturhaften Bereich meine ich Berg- und Baumformen zu erkennen, die auch in der japanischen Bildtradition erscheinen.

Alle Artefakte im Raum ziehen den Betrachter in Bann, aber es bedarf des Verweilens. Die Bilder und Skulpturen, selbst die Gewebe wollen gelesen werden wie ein Buch. Ich gestehe, dass ich nur einige der „Bücher“ angelesen habe. Gerade in diesem ersten Raum gibt es zu viele interessante Ablenkungen: neben den traditionellen Skulpturen ein paar Tierbilder, denen man gerne eine Nähe zu Kinderzeichnungen nachsagen möchte. Erhellend – vielleicht wie ein Lexikon – ist eine dunkle Skulptur von Kashimiri Matayo: eine offene Säulenform, in der sich linienförmig ein Pferdekopf und eine Art Fisch-Mensch in einer Lianen-Welt ineinenander verschlingen.

Bevor man zwei Räume mit kleinen und großen farbigen Arbeiten von George Lilanga betritt, gibt es einen Raum mit Fotos aus den Jahren 1970-73 von Frelimo-Unabhängkeitskämpfern in Mozambique. Das Wort „Frelimo“ konnte ich lesen und es führte mich zurück in meine Studienjahre und die Anteilnahme der überall in Afrika erwachten Freiheitsbewegungen. Fotos, wie diese unpathetischen Szenen aus dem Dschungelleben, waren damals wenig in den Medien zu finden. Sind diese Szenen auch der Hintergrund für die zeitgleichen Malereien dieser Ausstellung? Der Ausstellungspräsentation konnte ich das nicht entnehmen und auch dem nur mit japanischen Informationen versehenen Katalog nicht. Dem siebenteiligen Wandbild von Mkura würde ich einen solchen Zusammenhang unterstellen, denn er zeigt die afrikanische (Bilderbuch)Welt brüchig, erschreckend und doch auch stabil traditionell.

Mkuras Malerei ist durchweg erzählerisch, er kommt aus der damals jungen Tradition der Tingatinga-Malerei, die in den 1960er Jahren von einem arbeitslosen Mann namensTingatinga in Tanzania entwickelt worden. Er bemalte mit Fahrradlack quadratische Pressplatten mit Tieren, Figuren und Landschaften. Zu Mkura und Tingatinga gibt es im Internet deutsprachige und japanische Seiten.

George Lalinga, 1993, von dem auch die Abbildung auf Plakat und Katalog stammt

Der größte Teil der Ausstellung ist George Lilanga (1934 – 2005) aus Daressalam, Tanzania, gewidmet. Auch seine Kunst fußt auf der Tingatinga-Bewegung. Er hat sich später zu vereinfachten und abstrahierten Figurationen entwickelt. Die ornamentalen Formen füllen jeweils die ganze Malfläche. Die Figuren mutieren ständig; sie sind alle eins und doch ständig anders. Für die Augen sind seine Bilder Labyrinthe ohne Ausgang und Eingang. Sie sind Meditationsbilder, die vor den Augen gerne verschwimmen. Ich empfinde sie als fröhlich und zugleich mystisch. Sie erinnern mich stark an japanische Mangafiguren, die sich auch gerne und intensive verwandeln.

George Lalinga, 1979

In der westlichen Kunst gibt es während der 1970er Jahre vergleichbare Kunstwerke, vor allem bei den Phantasten, die ebenfalls gern auf historische Weltdarstellungen zurückgriffen. Mich erinnert gerade dieses Blatt an Arbeiten von Walter Wegmüller (Basel), der zu meinen Künstlerfreunden der 1960er Jahre gehörte. Auch Niki de Sait Phalle ist mit ihrem zeichnerischen Werk nicht sehr weit entfernt, schöpft aber vor allem aus biographischen Quellen.

Wieviel Lebensweisheit, wieviel Politik in den Werken dieser Ausstellung steckt, kann ich derzeit nur erahnen, herausgefunden habe ich es noch nicht.