Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014
Mittwoch
Die Geschlossenheit des Pester Stadtbildes, mit ihrer im Einzelnen durchaus disparaten architektonischen Erscheinung, findet ihre Entsprechung in den überall zu findenden Denkmälern und Pla- ketten. Ich habe bisher keine Stadt erlebt, die so durchsetzt ist von offiziellen Erinnerungsmonumenten. In Parks, auf Plätzen, an Stras- senecken und gerne auch an Häuserwänden finden sich bronzene Figuren, Gesichter und Texte, die an verstorbene Personen oder besondere Ereignisse erinnern. Ich habe mich schon im vergange- nen Jahr damit auseinander gesetzt, weiß aber immer noch nicht, wie ich die Fülle an Figuren und Plaketten einordnen soll.
Manche scheinen einfach nur der Unterhaltung der Touristen zu dienen, obwohl die meisten Touristen sich überhaupt nicht mit den Denk- malsfiguren auseinander setzen. Sie stellen sich davor, lassen sich fotografieren und haben einen Beleg für ihre Anwesenheit im Irgendwo – von der Umgebung sieht man auch diesen Fotos ja prak- tisch nichts.
Zwei neue Bronzefiguren, die aus dem traditionellen Denkmalsver- ständnis herausfallen, fand ich beim diesjährigen Besuch: auf dem Szabagsát ter, dem Platz der Freiheit, begegnete ich Herr Ronald Reagan. Ich fand sein Erscheinen dort überraschend.
Der touristische Reagan stand im vergangenen Jahr noch nicht im Rücken des großen Denkmals in Erinnerung an die siegreiche Sowjetarmee.
Die zweite Denkmalsüberraschung befindet sich etwa 1000 Meter nördlich am Beginn der Falk Miksa Straße. Dort trifft man auf Peter Falk, besser bekannt als Inspektor Columbo. Er ist noch frischer als Herr Reagan, er wurde erst am 13. März diesen Jahres dorthin plaziert.
Ihn hat der Fidesz Bezirksbürgermeister und Fraktionsvorsitzende, Antal Rogán, in sein vom Staat und der EU bezahltes Erneuerungs- programm für Nord-Lipótváros aufgenommen. Warum Inspector Columbo in Budapest, obwohl der Schauspieler in New York geboren und Bevely Hills verstorben ist (1927 – 2011)? Weil es in Peter Falks Großeltern jüdisches Blut auch aus Ungarn gegeben hat und er selbst ein wenig damit spielte, dass sein Ur-Großvater vielleicht der Schriftsteller und Politiker Falk Miksa gewesen sein könnte (ehrlicher- weise aber zugab, dass es dafür keine Anhaltspunkte gäbe). Na ja, und weil das doch auch ein gutes freundlich-politisches Bild abgibt – kleiner Brückenschlag zu Ronald Reagan.
Für Kinder und Budapester Großeltern ist Peter Falk alias Columbo derzeit ein Treffpunkt. Ansonsten wirkt er eher deplaziert.
Unter den (ernsthaften) Denkmalsfiguren traf ich in diesem Jahr drei Bekannte wieder und lernte einen interessanten Denkmalsweg kennen. Kurz vor der Anreise fand ich heraus, dass es in Buda ein Denkmal für den Autor, der mich mit seinem Werk nach Budapest begleitete, gibt: Sándor Márai (1900 – 1989).
Sein Denkmal ist nur eine Büste, die meist auf leere Straßenstühlen blickt, und so aussieht, wie ich mir den Autor vorgestellt hatte: individuali- siert mit einer schmalen Fliege und eher abwei- send als anheimelnd. Er hat mir dennoch viele Einblicke in seine Zeit und sein Ungarn-Gefühl gegeben.
In der Reihenfolge der zweite Bekannte war George (György) Tábori (1914 – 2007). Eine Plakette schmückt sein Geburtshaus in der Nähe der Jósef körut (sehr ruhig neben der stark befahrenen Ringstrasse). An Tábori habe ich angenehme Erinnerungen und ich verdanke ihm einen tollen Shakespeare-Schock. Durch meine Budapest Erfahrungen kann ich heute in ihm den Ungarn sehen und fühlen. Leider ist sein Portrait am Geburtshaus nicht so eindrücklich wie es in der Realität war.
Den dritten Bekannten traf ich heute im Szent Istvan Park an der Donau (13. Bezirk). Auch er hatte ein zerfurchtes, fast trauriges jüdisches Gesicht: Georg (György) Lukacs (1885 – 1971). Er war einer der einflußreichen und prägenden Lehrer meiner Studienzeit, auch wenn ich ihn nie persönlich kennen lernte.
Er lehnt an einem Eckgeländer – und diese Stellung geht mir immer wieder durch den Kopf. Er steht dort wie an einer Kellertreppe, irgendwie im Abseits und war doch er der Mittelpunkt wichtiger Denkprozesse.
Mit diesem langen, stark frequentierten Szent Istvan Park verbindet sich auch der Weg einer Erinnerungsskulptur.
Weiter südlich am Donauufer hatte ich vor zwei Tagen eine wie achtlos an eine Hotelmauer gestellte bronzene Frauenfigur gesehen, sie fotografiert und mir den Bildhauernamen notiert: Pátzay Pál (1896 – 1979). Im Internet fand ich seinen Namen und die kurze Geschichte seines Denkmals für Raoul Wallenberg.
Er war kurzfristig Abgeordneter des ersten ungarischen Parla- ments nach dem 2. Weltkrieg (nach zwei Monaten wurde es aufgelöst) und arrangierte sich gut mit der sozialistischen Politik. In der sehr kurzen nicht-sozialistischen Nachkriegszeit scheint das Denkmal für den Retter jüdischer Ungarn ent- standen zu sein. Es benutzt eine im Sozialismus durchaus vertretene Symbolsprache (der Kampf gegen eine Schlange). Sein Denkmal fiel aber in Ungnade. Die Widmung für Wallernberg, die es heute wieder trägt, wurde entfernt. Das Denkmal galt von nun an einem anonymen medizinischen Kampf gegen Krankheiten,was mit der bildlichen Darstellung (Äskulap-Schlange) gut in Einklang zu bringen war.
Heute ist es wieder ein Denkmal für Wallenbergs Kampf, nur wenige Seitenstraßen von einer Raoul Wallenberg Strasse entfernt, natürlich mit neuerlicher Erinnerungsplakette.