Archiv der Kategorie: 2014_Budapest

Denken mit Denkmalen – budapest 7

Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Mittwoch

Die Geschlossenheit des Pester Stadtbildes, mit ihrer im Einzelnen durchaus disparaten architektonischen Erscheinung, findet ihre Entsprechung in den überall zu findenden Denkmälern und Pla- ketten. Ich habe bisher keine Stadt erlebt, die so durchsetzt ist von offiziellen Erinnerungsmonumenten. In Parks, auf Plätzen, an Stras- senecken und gerne auch an Häuserwänden finden sich bronzene Figuren, Gesichter und Texte, die an verstorbene Personen oder besondere Ereignisse erinnern. Ich habe mich schon im vergange- nen Jahr damit auseinander gesetzt, weiß aber immer noch nicht, wie ich die Fülle an Figuren und Plaketten einordnen soll.

Einübern in die gute alte Zeit

Einübern in die gute alte Zeit

Manche scheinen einfach nur der Unterhaltung der Touristen zu dienen, obwohl die meisten Touristen sich überhaupt nicht mit den Denk- malsfiguren auseinander setzen. Sie stellen sich davor, lassen sich fotografieren und haben einen Beleg für ihre Anwesenheit im Irgendwo – von der Umgebung sieht man auch diesen Fotos ja prak- tisch nichts.

Spass für zu Hause

Spass für zu Hause

Zwei neue Bronzefiguren, die aus dem traditionellen Denkmalsver- ständnis herausfallen, fand ich beim diesjährigen Besuch: auf dem Szabagsát ter, dem Platz der Freiheit, begegnete ich Herr Ronald Reagan. Ich fand sein Erscheinen dort überraschend.

Verspäteter Staatsbesuch?

Verspäteter Staatsbesuch?

Der touristische Reagan stand im vergangenen Jahr noch nicht im Rücken des großen Denkmals in Erinnerung an die siegreiche Sowjetarmee.

 
Die zweite Denkmalsüberraschung befindet sich etwa 1000 Meter nördlich am Beginn der Falk Miksa Straße. Dort trifft man auf Peter Falk, besser bekannt als Inspektor Columbo. Er ist noch frischer als Herr Reagan, er wurde erst am 13. März diesen Jahres dorthin plaziert.

Ein kniffliger Fall für Inspektor Columbo

Ein kniffliger Fall für Inspektor Columbo

Ihn hat der Fidesz Bezirksbürgermeister und Fraktionsvorsitzende, Antal Rogán, in sein vom Staat und der EU bezahltes Erneuerungs- programm für Nord-Lipótváros aufgenommen. Warum Inspector Columbo in Budapest, obwohl der Schauspieler in New York geboren und Bevely Hills verstorben ist (1927 – 2011)? Weil es in Peter Falks Großeltern jüdisches Blut auch aus Ungarn gegeben hat und er selbst ein wenig damit spielte, dass sein Ur-Großvater vielleicht der Schriftsteller und Politiker Falk Miksa gewesen sein könnte (ehrlicher- weise aber zugab, dass es dafür keine Anhaltspunkte gäbe). Na ja, und weil das doch auch ein gutes freundlich-politisches Bild abgibt – kleiner Brückenschlag zu Ronald Reagan.
Für Kinder und Budapester Großeltern ist Peter Falk alias Columbo derzeit ein Treffpunkt. Ansonsten wirkt er eher deplaziert.

Wieder fast zu Hause aus der freiwilligen Emigration.

Wieder fast zu Hause aus der freiwilligen Emigration.

Unter den (ernsthaften) Denkmalsfiguren traf ich in diesem Jahr drei Bekannte wieder und lernte einen interessanten Denkmalsweg kennen. Kurz vor der Anreise fand ich heraus, dass es in Buda ein Denkmal für den Autor, der mich mit seinem Werk nach Budapest begleitete, gibt: Sándor Márai (1900 – 1989).

2014-5- (82)Sein Denkmal ist nur eine Büste, die meist auf leere Straßenstühlen blickt, und so aussieht, wie ich mir den Autor vorgestellt hatte: individuali- siert mit einer schmalen Fliege und eher abwei- send als anheimelnd. Er hat mir dennoch viele Einblicke in seine Zeit und sein Ungarn-Gefühl gegeben.

Der Theatermann und Schriftsteller George Tábori

Der Theatermann und Schriftsteller George Tábori

In der Reihenfolge der zweite Bekannte war George (György) Tábori (1914 – 2007). Eine Plakette schmückt sein Geburtshaus in der Nähe der Jósef körut (sehr ruhig neben der stark befahrenen Ringstrasse). An Tábori habe ich angenehme Erinnerungen und ich verdanke ihm einen tollen Shakespeare-Schock. Durch meine Budapest Erfahrungen kann ich heute in ihm den Ungarn sehen und fühlen. Leider ist sein Portrait am Geburtshaus nicht so eindrücklich wie es in der Realität war.

Georg Lukacs

Georg Lukacs

Den dritten Bekannten traf ich heute im Szent Istvan Park an der Donau (13. Bezirk). Auch er hatte ein zerfurchtes, fast trauriges jüdisches Gesicht: Georg (György) Lukacs (1885 – 1971). Er war einer der einflußreichen und prägenden Lehrer meiner Studienzeit, auch wenn ich ihn nie persönlich kennen lernte.

Zum Denken brauchte Lukacs kein Geländer

Zum Denken brauchte Lukacs kein Geländer

 

 

Er lehnt an einem Eckgeländer – und diese Stellung geht mir immer wieder durch den Kopf. Er steht dort wie an einer Kellertreppe, irgendwie im Abseits und war doch er der Mittelpunkt wichtiger Denkprozesse.
Mit diesem langen, stark frequentierten Szent Istvan Park verbindet sich auch der Weg einer Erinnerungsskulptur.
Weiter südlich am Donauufer hatte ich vor zwei Tagen eine wie achtlos an eine Hotelmauer gestellte bronzene Frauenfigur gesehen, sie fotografiert und mir den Bildhauernamen notiert: Pátzay Pál (1896 – 1979). Im Internet fand ich seinen Namen und die kurze Geschichte seines Denkmals für Raoul Wallenberg.

2014-16- (64)Er war kurzfristig Abgeordneter des ersten ungarischen Parla- ments nach dem 2. Weltkrieg (nach zwei Monaten wurde es aufgelöst) und arrangierte sich gut mit der sozialistischen Politik. In der sehr kurzen nicht-sozialistischen Nachkriegszeit scheint das Denkmal für den Retter jüdischer Ungarn ent- standen zu sein. Es benutzt eine im Sozialismus durchaus vertretene Symbolsprache (der Kampf gegen eine Schlange). Sein Denkmal fiel aber in Ungnade. Die Widmung für Wallernberg, die es heute wieder trägt, wurde entfernt. Das Denkmal galt von nun an einem anonymen medizinischen Kampf gegen Krankheiten,was mit der bildlichen Darstellung (Äskulap-Schlange) gut in Einklang zu bringen war.

2014-16- (36)Heute ist es wieder ein Denkmal für Wallenbergs Kampf, nur wenige Seitenstraßen von einer Raoul Wallenberg Strasse entfernt, natürlich mit neuerlicher Erinnerungsplakette.

Von der Freundlichkeit der Schweigsamen oder vom ungarischen Redefluss

Dienstag

Die Ungarn reden gerne viel und laut. Im Café übertönten zwei junge Männer am Nebentisch sogar den Klavierspieler, der schon um seine Anwesenheit nachdrücklich deutlich zu machen, nicht zu sanft in die Tasten griff. Wenn es aber nicht um Gespräche beim Gehen auf der Straße oder im Café geht, dann ist man in Ungarn recht still. An Supermarktkassen oder an Postschaltern geht es nicht nur gesittet, sondern auch fast schweigend zu. Die Ungarn haben dabei nicht das Reden vergessen, aber sie haben die Lautstärke so stark gedimmt, dass man als Tourist kaum mehr als ein Gemurmel hört.
Auf der Straße warten die Ungarn – und das sind nicht nur einzelne – geduldig, bis die Touristen mit ihren Kameras das Motiv gut und sauber abgelichtet haben und passieren erst dann den Raum zwischen Kamera und Motiv. Wenn man, aus Versehen, den gesamten Bürgersteig in Anspruch nimmt, warten sie geduldig, bis sich eine Gelevenheit ergibt, ohne zu stören an den Gästen vorbei zu flanieren. Dabei bedanken sie sich dann murmelnd und das wieder so leise, dass man ein wenig über die Sanftheit erschrickt. Das ist nicht immer so, aber meistens. Die Ausnahme bilden junge, großgewachsene junge Männer, die zu viert nebeneinander auf dem Trottoire mit dem Fahrrad fahren und wahre Equilibristikkunststücke ausführen, um ja niemanden umzufahren, aber die eigene Formation auch um keinen Preis aufzulösen. Sie reden dann gerne ungarisch laut mit sich selbst oder als Anmache zu jungen Frauen, die sie gerade passieren.
Heute ging ich zur Post, um die letzten Briefmarken für Postkarten nach Hause zu kaufen. Im Taschenlexikon hatte ich die zwei Wörter für „drei Briefmarken“ (három bélyeg) nachgeschlagen, mehrfach vor mich hin gesagt und dem Schaltermann serviert. Ich wollte zeigen, dass ich ihm nicht nur fremde Sprachkenntnisse abfordern, sondern selber auch welche liefern wollte. Schweigsam, mit einem feinen Lächeln, druckte er eine Marke aus und klebte sie auf die Postkarte. „260 Forint“ gab er in Deutsch zurück. Nun wollte ich aber insgesamt 3 Marken haben. Also redete ich in deutsch mit ihm weiter, bekam meine Marken, den Gesamtpreis und ein lautstarkes „Willkommen in Ungarn“ nebst weiteren Freundlichkeiten, die mich so unvorbereitet trafen, dass ich schon fast an der Tür war und meine Ohren längst auf andere Geräuschte eingestellt hatte. Auch der junge Mann am Käseschalter in der kleinen Markthalle für den täglichen Einkauf kramt gern alle seine deutschen Wörter über die tatsächlich ausserordentliche Geschmacksqualität seines Angebots hervor und unterstreicht damit seine bedächtigen Bewegungen. Ungarn, das so nebenbei, führt ein entschleunigtes Leben. Das kommt dem Erlernen der Sprache sehr entgegen, wenn man dazu Lust hat.

Streifzug durchs neue junge Leben – budapest 5

Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Das junge Leben zwischen Oktogon, Blaha Luiza ter und Deák ter. Hier ein Hostel in einem riesigen Jugendstilhaus

Das junge Leben zwischen Oktogon, Blaha Luiza ter und Deák ter. Hier ein Hostel in einem riesigen Jugendstilhaus

Sonntag
Neidisch von einem Vorabendspaziergang zurückgekommen. Es sollte nur ein kurzer Gang zum Liszt-Haus, der Musikakademie, sein und vielleicht noch ein paar Straßen drumherum. Mehr wurde es auch nicht, aber es waren dann doch zweieinhalb Stunden und es war ein eigenes, ein neues Viertel. Geht man die Kertész utca weiter und überquert die Kiraly gibt es schlagmals keine Toursiten mehr und die meisten Häuser haben noch grau-schwarze und abgebrök- kelte Fassaden.

Solche Baulücken sind selten. Sie zeigen wie voluminös die Wohnbauten vor 120 Jahren waren.

Solche Baulücken sind selten. Sie zeigen wie voluminös die Wohnbauten vor 120 Jahren waren.

Gelebt wird in Gruppen und Grüppchen

Gelebt wird in Gruppen und Grüppchen

 

 

 

Dem Empfinden nach war ich wieder in der Dresdner Neustadt um 1990. Es waren große, vom Eindruck her schwere Miethaus-Fassaden, die zum Teil noch deutlich vor jeglichem Jugendstileinfluß lagen. Es sind Vorstadtstraßen, die hier aber, wie im Westberlin der 1960er fast ein neues Zentrum bilden. Diese riesigen, dunklen Fassaden sind nur etwa 200 bis 300 m von der Andrássy ut. entfernt und die ist so etwas wie es der Kudamm vor der Vereinigung in Berlin war: die bürgerliche Vorstadt als neues Zentrum.

alte Bemalung am Haus des Bazar Hostel

alte Bemalung am Haus des Bazar Hostel

Eine Fassade in einer der Seitenstraßen, auch dahinter verbirgt sich ein Hostel. Die Tür öffnet zu einem "Trümmer-Café", einem riesigen Innenhof

Eine Fassade in einer der Seitenstraßen, auch dahinter verbirgt sich ein Hostel. Die Tür öffnet zu einem „Trümmer-Café“, einem riesigen Innenhof

 

 

 
Was mich neidisch machte, war das Flair eines jungen Lebens, das hier in den düsteren Straßen herrschte. Man sah nur junge Leute und vor allem die, die das Jungsein lebten. Zahlreiche Bars, Kneipen und Restaurants hatten Türen und Fenster ge- öffnet, ohne dass dadurch die Fassaden wirklich durchlässiger geworden wären. Die Kommunika- tion auf den Straßen war Hinweis auf etwas, das sich an Tischen und auf Hockern in diesen scheinbaren Ruinen abspielte – und das war der Anfang einer Zukunft. Diese Worte muß ich wählen, damit meine Gefühle zu den Bildern passen.

Einefache Räume fantastisch mit Sperrmüll eingerichtet. Die Preise vergleichen sich dennoch mit 'normalen' Kneipen

Einefache Räume fantastisch mit Sperrmüll einge- richtet. Die Preise vergleichen sich dennoch mit ’norma- len‘ Kneipen

Am Nachmittag verlaufen sich nur wenige Touristen hierher, aber es ist schon anheimelig düster

Am Nachmittag verlaufen sich nur wenige Touristen hierher, aber es ist schon anheimelig düster

Sauber sieht die Gegend nicht aus und dem Modestil angepasst laufen die jungen Frauen und Männer nicht herum. Im Grunde waren die Straßen am Sonntag zwischen 16.00 und 18.00 Uhr erstaun- lich still. Wenn ich hinter die Fassaden schauen konnte, weil mal eine Tür zum Treppenhaus und Innenhof offenstand, dann versprach der Blick kein lichtes Leben im Sonnenschein. Und doch verspürte ich Lust, hier für einige Monate ein- zuziehen, um am Leben teilzuhaben. Es unterscheidet sich mehr als nur graduell vom touristischen „Hopp on Hopp off“ der Bustouren.

Mit allen Anspielungen wird hier hantiert, ob es einen politischen Hintergrund hat, bleibt eine offene Frage

Mit allen Anspielungen wird hier hantiert, ob es einen politischen Hintergrund hat, bleibt eine offene Frage

Ein Schuster an seiner alten Singer-Nähmaschine. Die Geschoßhöhe nimmt Arbeit und Leben auf

Ein Schuster an sei- ner alten Singer-Näh- maschine. Die Ge- schoßhöhe nimmt Arbeit und Leben auf

 

 

Hier würde ich das tatsächliche Leben von Budapests Jugend erfahren. Aber man muss allein hierher kommen, nur dann ist man Teil dieses Lebens und wird auch so erlebt. In manches Restaurant oder Café wäre ich hinein gegangen, nicht um zu wissen, wie es dort schmeckt, sonst zu schmecken wie es sich dort lebt. Heute hätte es sicher den „Traum“ zerstört und das einfache, leckere Abendessen ‚zu Hause‘ aus Kartoffel-Käse Pfanne und Salat hätte ich nicht mit Lust zubereitet.

Der Nachbar und die Nachbarschaft – budapest 4

Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Ungarische Siesta

Ungarische Siesta

Freitag.
Die erste Woche ist fast um.
Der Nachbar war heute dar. Seit einigen Tagen lasse ich die Ein- gangstür gerne offen stehen, vor allem, wenn ich koche. Er klopfte höflich, blieb in der Tür stehen und sprach mich Ungarisch an. Bevor ich etwas erwidern konnte, sagte er, mich direkt anschauend: „wir sprechen nur englisch oder deutsch.“ Warum nicht Ungarisch fuhr er fort, und erkundigte sich dann nach Hamburg. Natürlich sprach er mit mir deutsch, sehr flüssig.
Er erinnerte sich offensichtlich sofort an mich vom vergangenen Jahr, ich brauchte ein wenig Zeit dafür. Er erzählte, dass er gerade aus Spanien zurück gekommen sei, sagte, weil es später Vormittag war, etwas von gut eingekauft haben und einer Einladung zum Mittag- essen für ihn. Morgen wäre es schon zu spät, da wäre er auf dem Weg nach Bulgarien, auch für zwei Wochen. Und bevor ich wieder Budapest verlasse ist er wieder mal für einen Tag in seiner Wohnung, bevor er, ebenfalls für zwei Wochen, nach Griechenland fährt. An seiner Wohnungstür steht ein Name mit einem Doktor Titel.
Ganz selbstverständlich floß in sein Erzählen die aktuelle politische Situation ein, die Veränderungen in Ungarn und Frau Merkel, die sich, so stellte er pantomimisch dar, die Brust immer hochschiebt oder vielleicht hoch schieben sollte. Alles was er sagte, war ernst und zugleich auch kabarettistisch komisch, wenn man den Ernst als Fassade ansah. Am Abend war seine äußere Wohnungstür (ein recht stabiles Gitter) wieder zugesperrt.

Nachbarschaft auf der Straße

Nachbarschaft auf der Straße

Heute ist wieder Sperrmüll, wie im vergangenen Jahr auch. Die Müll-Halden sehen in etwa gleich aus, wieder sitzen dahinter oder daneben Männer oder Frauen, die scheinbar die Halden bewachen. Aber sie hindern niemanden, darin zu wühlen, sich mit Brauch- barem zu bedienen, Metall und elektrisches Geräte (vielfach Reste von Geräten) aufzuladen. Und mit der abendlichen Dunkelheit verschwanden sie auch wieder. In der Frühe wird wohl abgefahren.

2014-5- (11)2014-5- (9)

Sonne, Sand und müde Tiere – budapest 3

Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Das Eingangstor (1912) des Zoos, aus normalem Blickwinkel.

Das Eingangstor (1912) des Zoos, aus normalem Blickwinkel.

Donnerstag
Die zweite Neuheit in Budapest ist für mich der Zoo. Vom Zoo kannte ich Fotos mit starkem Jugendstilgepräge, deren tatsächliche Erschei- nung mich bereits im vergangenen Jahr eher abschreckte als anzog. Aber dieses Mal sollte es ein Besuch sein, vor allem auch, weil die Wohnungseignerin mir im Vorfeld mit viel Enthusiasmus vom Zoo erzählte. Fotos in Prospekten und Bücher zeigen die Welt gerne von einer Schokoladenseite. Nach dem Besuch habe ich mir alle greif- baren Aufnahmen nochmals angesehen: die Wirklichkeit sieht tatsächlich nicht so aus. Sie ist weitaus nüchterner und falten- reicher.
Nicht nur das Eingangstor und das Elefantenhaus haben ein eher trauriges Jugendstilgesicht, der gesamte Zoo – dieses Areal ist ein botanischer Garten und ein Zoo zugleich, sagen nicht nur die Prospekte, sondern gern auch die jungen Leute an der Information – ist staubig und trostlos. Im Elefantengehege sah man einen Ele- fanten, der sich verhielt wie ein Psychiatrie-Langzeitpatient – Rüssel und Schwanz leicht schwingend, vor und zurück sich wiegend, aber im wesentlichen standbildhaft im grauen Sand, umgeben von ge- schälten Baumleichen. Von Grün war im Auslaufbereich des Tieres nichts zu sehen – in anderen Gehegen auch nicht.

Eine rare Augenweide für den Besucher:  das Mittagessen für Elefanten und Rhinozeros

Eine rare Augenweide für den Besucher: das Mittagessen für Elefanten und Rhinozeros

Irritierend war, dass drei indische Elefanten in einem afrikanischen Elefantenhaus lebten. In der gesamten Umgebung der durchaus weitläufigen Architektur gab es nur Hinweise auf Afrika, immer wieder auch mit Abbildungen von Elefanten. Kein Hin- weis auf indische Bewohner im afrikani- schen Haus.

Der Link zur (hier falschen) Kultur - eigentlich gut gemeint.

Der Link zur (hier falschen) Kultur – eigentlich gut gemeint.

Der vorherrschen- de Eindruck der Großtier-Gehege war der von Trostlosigkeit. Als witziger Lichtblick blieb ein Oran Utang, der im satten Grün einer Wiese lag, an einen Baum angelehnt, mit dem Rücken zum Drahtzaun mit den beobachtenden Menschen. Über den Kopf hatte er sich einen an den Rändern ausgerissenen Pappkarton gestülpt, der ihn vor der Sonne und den Blicken der Besucher schützte. Er betrachtete seine großen Hände und schob gelegentlich den Karton ein wenig zurecht. Mir schien, er wußte genau wie er sich plaziert hatte und was er damit ausdrücken wollte.

Ein cleverer Menschenaffe

Ein cleverer Menschenaffe

Beim Betrachten meiner Fotos fand ich dann noch zwei weitere „Lichtblicke“: erstmals sah ich ein in der Mittagssonne ruhendes Nashorn – auf der Seite liegend – und ein Faultier, das rücklings auf einer Fensterbank lag, den Besuchern, die an ihm nahe vorbeigehen konnten, den wuscheligen Bauch zeigend. Gerne hätte ich das Faultier gekrault, aber die großen Klauennägel hielten mich davon ab.

Kein Schatten gefunden - Mittagsschlaf in praller Sonne

Kein Schatten gefunden – Mittagsschlaf in praller Sonne

Ein Faultier auf der Fensterbank.

Ein Faultier auf der Fensterbank.

 

 

 

 

Die Streichelwiese als -wüste

Die Streichelwiese als -wüste

Den Abschluß sollte ein Kaffee im alten Palmenhaus von 1912 bringen; den brachte eine ruhige, mollige, junge Ungarin, die sich dem Zoo-Rythmus abgepasst hatte, deren mangelnde Spritzigkeit aber immer noch hoffnungsvoller wirkte, als die recht simple Stahl-und-Glas Konstruktion. Dabei waren Palmenhäuser vor 120 – 520 Jahren der ästhetische Clou der noch jungen Technologie. Alle großen, wichtigen Städte auf dem Kontinent können mit ihren Beispielen protzen, Budapest nicht. Dafür fährt aus dem Stadtzentrum bis vor die Tore des Zoos die erste U-Bahn auf dem Kontinent immer noch mit ihren alten Wagen (zumindest im vergangenen Jahr, denn in diesem Jahr waren es bisher baugleiche, aber neuere Waggons).

Burgberg rauf und runter _ budapest 2

Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Wer den einfachen Weg auf den Berg wählt, mit der Standseilbahn, kann diesen erschreckten Mann sehen

Wer den einfachen Weg auf den Berg wählt, mit der Standseilbahn, kann diesen erschreckten Mann sehen

Mittwoch
Der weitläufigste unter den Touristen-Treffpunkten in Budapest ist der Burgberg. Die hügelige Seite der Dreistädtestadt Budapest ist mit der Freiheitsstatue, dem Schloß und der Fischerbastei im Wortsinne „belegt“. Buda, das am Donauufer liegende Óbuda und Pest wurden erst 1873 zur einer Stadt und gleichzeitig zur Hauptstadt zusammengeführt.
Der Blick von Pest aus über die Donau hat Postkartenformat, ist aber keineswegs berauschend. Aber dort oben muss jeder Tourist gewesen sein. Der Burgberg hat keine einheitliche Bebauung, aber den Vorteil, dass die Touristen sich überall wieder über den Weg laufen und auch an ausreichend Tischen im Freien Platz nehmen können.

Der schönere Blick geht von Buda nach Pest, vom Berg auf die Stadt

Der schönere Blick geht von Buda nach Pest, vom Berg auf die Stadt

Ich habe den Burgberg natürlich auch besucht, konnte ihm im vergangenen Jahr nichts abgewinnen und habe auch in diesem Jahr keinen besseren Eindruck gewonnen. Von den Touristen schon: sie sind meistens freundlich, viele ein wenig verwirrt, weil es zwar bizarre Bauten gibt, aber keinen erkennbaren Sinn.

Die Fischerbastei, der Verteidigungsbeitrag der Fischer-Zunft

Die Fischerbastei, der Verteidigungsbeitrag der Fischer-Zunft

Eine junge deutsche Touristen blickte auf die Fischerbastei und fragte mich, wo die Fischerbastei sei. Vor allem fallen einem die asiatischen Gruppen auf; sie lassen sich von einem Führer alles erläutern und stellen sich gern vor jedes Bronze-Gebilde, das entfernt als Kunstwerk oder Denkmal angesehen werden kann. Fotos werden von allen Touristen an allen Ecken gemacht. Ich habe vor allem gern Toursiten fotografiert, die Erinnerungsbilder fotografieren (s. schon den blog von 2013).

o.T. - es dauerte lange, bis die Pose sass

o.T. – es dauerte lange, bis die Pose sass

So sah der 2. Versuch aus. Die um die Hilfe gebetene Fotografin hatte ein feines Lächeln.

So sah der 2. Versuch aus. Die um die Hilfe gebetene Fotografin hatte ein feines Lächeln.

 

 

 

 

 

Seit diesem Jahr kann ich mir vorstellen, mehr als nur einen ganzen Tag auf dem Burgberg zu verbringen, allein um die Toursiten zu beobachten. Man kann dabei viele freundliche Blicke ernten; mir fielen (natürlich!) die chick gekleideten jungen Frauen auf, die allein von der Fischerbastei bis zum Schloß und zurück zur Standseilbahn schlenderten und für jeden Blick- kontakt empfänglich waren.
Ansonsten fotografiere ich liebe dort, wo die Leute ein wenig ratlos in den Himmel schauen, wenn ich meine Kamera hebe – in den Straßen mit den eingestreuten Jugendstilbauten, die Budapest zum Eldorado dieser Architektur machen.

Arbeitssituation 1

Arbeitssituation 1

Arbeitssituation 2

Arbeitssituation 2

Ankommen am Niagara Fall _ budapest 1

Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Sonntag
Wieder in Budapest, wieder in etwa zur gleichen Zeit wie im vergan- genen Jahr, wieder in der gleichen Wohnung. Die ersten Tage sind Wiederholungen der gesammelten Erinnerungen: der Gang zum Supermarkt, das Warten auf den Montag, an dem die kleine Markt- halle, hundert Meter entfernt, wieder öffnet, das erste Essen wieder in der kleinen Küchenzeile gekocht ist. Das Wetter ist ebenfalls ganz ähnlich, die Wettervorschau hatte das erwarten lassen.
Das Gefühl ordnet Umgebung und Situation als bekannt ein, ein Stück weit auch als vertraut. Die Stadt aber erkennt einen nicht wieder. Sie muss man sich wieder aneignen. Um es der Stadt und sich selbst einfacher zu machen, geht man wieder die vertrauten Wege, Neues muss noch warten. Doch ohne Neues gibt es auch kein Vertrautes. Denn vieles vom Neuen liegt direkt neben dem Vertrauten.
Der erste richtige, weil notwendige Weg führt zum West-Bahnhof. Es ist Sonntag und die Reste vom Reiseproviant gehen zur Neige. Also sollte man wissen, wo es noch etwas zu kaufen gibt. Hat der Supermarkt auch am Sonntag auf oder gleich zum Bahnhof, der sich zu Hause ja längst zum Ersatzsupermarkt entwickelt hat.
Neben dem Westbahnhof gibt es ein Einkaufszentrum, entnimmt meine Begleiterin dem Reiseführer. Am Westbahnhof war ich häufi- ger, weil er noch so viele alte Räume und Einrichtungen aus der vor- letzten Jahrhundertwende hat und, sehr weit im Osten, von Gustav Eiffel und seiner Firma gebaut wurde. Aber von einem Westend Zentrum wußte ich nichts. Das Zentrum ist auch am Sonntag geöff- net, ja geradezu überlaufen, aber einen Lebensmittelladen gibt es nicht. Trotzdem verhungert man im Westend Zentrum nicht. Es ist ein chicker Treffpunkt und die Läden sehen so aus, wie sie heute aussehen, wenn sie Erfolg haben oder Erfolg vorgaukeln. Pärchen und junge Familien sind in der Überzahl.

Seit 1999 an der Westseite des West-Bahnhofs
Seit 1999 an der Westseite des West-Bahnhofs

Das Westend Zentrum ist neu für mich; durch zwei sehr ähnliche war ich im vergangenen Jahr gegangen, beide deutlich entfernt vom Stadtzentrum. Hier macht es irgendwie mehr Eindruck, obwohl weder die Architektur noch die Einrichtung oder die Geschäfte deutlich anders sind.

 

 

Der Niagara Fall, zwar glatt, aber geräusch- und geruchsintensiv

Der Niagara Fall, zwar glatt, aber geräusch- und geruchsintensiv

Neu ist für mich: Der Niagara-Fall riecht nach Chlor – nicht nur ein bißchen, sondern penetrant. Betritt man das fünfzehn Jahre alte West-End City Center, rauscht es mächtig und riecht durchdringlicher als aus jedem Budapester Wasserhahn. Eine etwa vierzig Meter lange Natursteinwand über die gesamte Höhe des Einkaufszentrum (4 Etagen) wird von rieselnden und stürzenden Wassern benetzt. In einen Findling angehauen ist der Hinweis, dass dieses künstliche Wasser-Schauspiel ein Geschenk des kanadischen Staates zum Millenium ist.
Das eigentlich trinkbare und qualitativ gute Wasser wird in Budapest so stark mit Chlor versetzt, dass man mit geschlossenen Augen jeden Wasserstrahl findet.

Imposant und sonntäglich frequentiert

Imposant und sonntäglich frequentiert

Im Trubel gibt es auch immer verschwiegene Ecken

Im Trubel gibt es auch immer verschwiegene Ecken

 

 

 

 

 

Zielstrebig auf dem Weg zur Schnäppchen-Ebene

Zielstrebig auf dem Weg zur Schnäppchen-Ebene

In der -1 Ebene geht es auch ganz billig zu

In der -1 Ebene geht es auch ganz billig zu

 

 

 

 

Kommt man aus Glitzer und Glanz wieder an die ungechlorte Luft, dann empfängt einen die ungarische Mischung aus überlebtem Sozialismus und nicht durchgestandenem Wirtschaftswunder. Die Umgebung des Nygati Platzes (Nygati ter), eine Kreuzung von vier verkehrsträchtigen nord-süd west-ost Straßen, ist so häßlich, dass es einem geradezu den Atem verschlägt. Rost, Staub und die perfekte Ästhetik des Daneben geben weder dem eigentlich immer noch prachtvollen Bahnhof und der weitgehend erhaltenen Doppelmonarchie-Achi- tektur noch dem akzeptablen Westend Zentrum eine Chance, das Leben des ausgehenden 20.Jahrhunderts zu charakterisieren. Ans 21. Jahrhundert wagt man da erst garnicht zu denken.