Archiv der Kategorie: Ausstellungen

Meditative Wimmelbilder

Katalog-Cover und Motiv des Plakats

Auf einem der Bahnhöfe im Tokyoter Umland lockte mich ein farbiges Plakat mit afrikanischer Figuration und ansonsten nur japanischen Schriftzeichen zu näherer Betrachtung. Hinweise, um was es ging, konnte ich den mir unbekannten Schriftzeichen nicht entnehmen. Eine Japanerin, die in der Nähe stand war hilfsbereit und ich erfuhr, dass es sich um eine Ausstellung im Museum der Tama Art University handelte, die noch zu sehen ist.

Ich empfand Vorfreude auf einen Besuch in Tama Center, das ich schon vor zwei Jahren besucht hatte und auf schöne farbige Skulpturen von Niki de Saint Phalle getroffen war, der französisch-amerikanischen Künstlerin. Meine Begegnungen mit Niki de Saint Phalle sind wir teure Erinnerungen, und das war eine zusätzliche Motivation.

Das Museum der Kunst Universität steht direkt neben der Benesse Verwaltung, der Eigentümerin der Berlitz School und der Figuren von Niki.

Skulptur von Niki de Saint Phalle

 

 

 

Auf zwei Stockwerken, in vier mittelgroßen Räumen sind Teile der Afrika Sammlung von Kenji Shiraishi präsentiert, einem „führenden Afrika Kenner“ (sagt der Katalog).

 

 

Die Ausstellung erfreut und überzeugt, aber sie hat auch die Tendenz, die Besucher zu überfordern. Im ersten Raum, gleich rechts hinter dem Eingangsbereich, ist ein großes sieben-teiliges Wandbild, das von traditionellen Holzskulpturen und beeindruckend ornamentierten Filz- und Bast-Matten zu einem ruhigen und schöner Eintritt in eine fremde Welt arrangiert worden. Es ist keine Welt, die unverständlich, aber von uns unerlebt ist. Wir kennen sie bestenfalls durch Abbildungen.

Ein Teil aus dem Wandbild von Abdul Amonde Mkura von 1992

Der Raum wird durch das siebenteilige Wandbild von Abdul Amonde Mkura (geb.1954) dominiert, das er im Jahr seines ersten Japanbesuches, 1992, malte. Die aneinander gereihten Bildtafeln sind mittig im erzählerischen Sinne geteilt: unten sieht man eine Abfolge ländlichen Lebens, oben eine Paraphrase aus der Welt der Tiere und Fabelwesen. Es vermengen sich auf beiden Bildebenen zeitgenössisches und archaisches Leben. Im oberen naturhaften Bereich meine ich Berg- und Baumformen zu erkennen, die auch in der japanischen Bildtradition erscheinen.

Alle Artefakte im Raum ziehen den Betrachter in Bann, aber es bedarf des Verweilens. Die Bilder und Skulpturen, selbst die Gewebe wollen gelesen werden wie ein Buch. Ich gestehe, dass ich nur einige der „Bücher“ angelesen habe. Gerade in diesem ersten Raum gibt es zu viele interessante Ablenkungen: neben den traditionellen Skulpturen ein paar Tierbilder, denen man gerne eine Nähe zu Kinderzeichnungen nachsagen möchte. Erhellend – vielleicht wie ein Lexikon – ist eine dunkle Skulptur von Kashimiri Matayo: eine offene Säulenform, in der sich linienförmig ein Pferdekopf und eine Art Fisch-Mensch in einer Lianen-Welt ineinenander verschlingen.

Bevor man zwei Räume mit kleinen und großen farbigen Arbeiten von George Lilanga betritt, gibt es einen Raum mit Fotos aus den Jahren 1970-73 von Frelimo-Unabhängkeitskämpfern in Mozambique. Das Wort „Frelimo“ konnte ich lesen und es führte mich zurück in meine Studienjahre und die Anteilnahme der überall in Afrika erwachten Freiheitsbewegungen. Fotos, wie diese unpathetischen Szenen aus dem Dschungelleben, waren damals wenig in den Medien zu finden. Sind diese Szenen auch der Hintergrund für die zeitgleichen Malereien dieser Ausstellung? Der Ausstellungspräsentation konnte ich das nicht entnehmen und auch dem nur mit japanischen Informationen versehenen Katalog nicht. Dem siebenteiligen Wandbild von Mkura würde ich einen solchen Zusammenhang unterstellen, denn er zeigt die afrikanische (Bilderbuch)Welt brüchig, erschreckend und doch auch stabil traditionell.

Mkuras Malerei ist durchweg erzählerisch, er kommt aus der damals jungen Tradition der Tingatinga-Malerei, die in den 1960er Jahren von einem arbeitslosen Mann namensTingatinga in Tanzania entwickelt worden. Er bemalte mit Fahrradlack quadratische Pressplatten mit Tieren, Figuren und Landschaften. Zu Mkura und Tingatinga gibt es im Internet deutsprachige und japanische Seiten.

George Lalinga, 1993, von dem auch die Abbildung auf Plakat und Katalog stammt

Der größte Teil der Ausstellung ist George Lilanga (1934 – 2005) aus Daressalam, Tanzania, gewidmet. Auch seine Kunst fußt auf der Tingatinga-Bewegung. Er hat sich später zu vereinfachten und abstrahierten Figurationen entwickelt. Die ornamentalen Formen füllen jeweils die ganze Malfläche. Die Figuren mutieren ständig; sie sind alle eins und doch ständig anders. Für die Augen sind seine Bilder Labyrinthe ohne Ausgang und Eingang. Sie sind Meditationsbilder, die vor den Augen gerne verschwimmen. Ich empfinde sie als fröhlich und zugleich mystisch. Sie erinnern mich stark an japanische Mangafiguren, die sich auch gerne und intensive verwandeln.

George Lalinga, 1979

In der westlichen Kunst gibt es während der 1970er Jahre vergleichbare Kunstwerke, vor allem bei den Phantasten, die ebenfalls gern auf historische Weltdarstellungen zurückgriffen. Mich erinnert gerade dieses Blatt an Arbeiten von Walter Wegmüller (Basel), der zu meinen Künstlerfreunden der 1960er Jahre gehörte. Auch Niki de Sait Phalle ist mit ihrem zeichnerischen Werk nicht sehr weit entfernt, schöpft aber vor allem aus biographischen Quellen.

Wieviel Lebensweisheit, wieviel Politik in den Werken dieser Ausstellung steckt, kann ich derzeit nur erahnen, herausgefunden habe ich es noch nicht.

Draußen vor der Tür – eine Ausstellungseröffnung mit Wartenden

Einen Tag nach dem Vivaldi-Konzert Besuch wurde in der Casa Cavazzini, dem städtischen „Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst“ in Udine eine Ausstellung eines heimischen Künstlers eröffnet. Das großes Transparent an der Wand des zentral gelegenen Hauses zeigt eine schwungvoll skizzierte asiatische Tusche-Landschaft. Wir machten uns zeitig auf den Weg, doch bereits deutlich vor der Öffnungszeit waren die Türen verschlossen und es hatten sich Gruppen von Wartenden im Arkadenbereich gebildet. Gelegentlich wurde die Eingangstür geöffnet und eine einzelne Person oder einige wenige durften eintreten. Alle waren „gestandene“ Erwachsene, die mit ihrem deutlich sichtbaren Alter auch Gelassenheit verströmten. Man stand, redete und wartete. Wir warteten auch, vor allem, weil wir nicht wußten, warum die Türen zur Vernissage nicht geöffnet wurden. Eine Frau in der Mitte ihrer 70er Jahre eröffnete ein Gespräch mit uns, indem sie darauf verwies, dass mit den „wichtigen Leuten“ die Räume vermutlich schon gefüllt wären. „Auch der Bürgermeister steht noch draußen“, unterstrich sie die auch ihr unverständliche Situation und schob noch nach, dass sie die Künstlerwitwe Maria gut kenne, ohne deren intensives Engagement diese Ausstellung nicht zustande gekommen wäre.

Wartende vor der Zanussi Ausstellung zur angegebenen Eröffnungszeit

Sehr zögerlich entfernten sich die Wartenden von der Eingangstür. Auch wir verabschiedeten uns zu einem kleinen Stadtrundgang und kehrten erst eineinhalb Stunden später zurück. Die Türen waren frei und man ließ uns diesmal freundlich ein. Vier Räume im oberen Geschoß waren mit der Ausstellung bestückt, die weiteren Räume enthielten die städtische Sammlung und waren für den Eröffnungtag geschlossen, denn dafür hätte man Eintritt zahlen müssen.

Paolo Zanussi, der präsentierte Künstler (1936 – 1997) war studierter Jurist und autodidaktischer Künstler. Den kurzen biographischen Zeilen im Ausstellungsfaltblatt konnte man entnehmen, dass er in den 1970er bis 90er Jahren ausgiebig reiste. Zanussi malte locker farbige Landschaften und Stadtportraits, in die er gern karrikaturistisch fliehende Mädchen-Akte positionierte. Die überwiegende Zahl der Zeichnungen und kleinformatigen Malereien sind erzählerisch und unterhaltsam.

catch as catch can mit Doppeldecker, Udine 2993

Zanussi war kein zeitgenössischer Neuerer, er war jemand, der mit Farben und Strichen seine Zeitgenossen unterhalten wollte und die Welt in einem lebenswerten Licht erstrahlen ließ. Sehr wenige Zeichnungen nur deuten darauf hin, dass er auch ein kritischer Zeitgenosse war.

Presentile Autoritá, 1966

Seinen Lebensunterhalt hat er wohl kaum mit dieser Kunst verdient. Einnahmen und Erfolge kamen wohl überwiegend aus dem Werbebereich. Für Pirelli und Jägermeister zeichnete er und fast alle großen europäischen Zeitungen schmückten sich mit seinen Skizzen und Illustrationen.

Ein Stadtgespräch ist diese Ausstellung sicher, mittlerweile wohl ein eher abgehobenes, an dem sich alle Parteien beteiligen können.

Ein märchenhaftes Abendmahl, 1978

Die Beschaffenheit des Augenblicks oder Verweile doch du bist so schön

Mit einem Ausflug in Frankfurts Museumsszene mit vorangekündigtem Treffen einer langjährigen Künstlerfreundin frischte ich die glaubensschweren Ostertage ein wenig auf. Sonnenschein und Wärme waren äußerst hilfsbereit.

An der ersten S-Bahn Station nach dem Hauptbahnhof in Richtig Stadt (Taunus-Anlage) erwartete mich Heide Weidele, seit den 1980er Jahren vertraute Freundin aus Künstlerkreisen. Die erste umfangreiche Ausstellung, zu der ich sie einlud, war „Die Beschaffenheit des Augenblicks“ im Roemer-Museum in Hildesheim 1987, dann folgten, nicht weniger umfangreich und vielfältig durch Künstlernamen und Stile die Ausstellungen „Bootschaften“ in Wilhelmshaven 1988. „open hav – meer offen“ in Oslo, Dresden, Berlin 1991-93 und nochmals Hildesheim 1993 zum Tausendjahr-Jubiläum des Bischofs Bernward. Kleinere Ausstellungen in Gifhorn etwa oder in Frankfurts Nähe sind da nicht mitgezählt.

Die Themen unseres Interesses überschnitten sich während dieser Jahre nicht nur im Sujet (Schiffe oder Boote), sondern auch beim plastischen Gestalten (Zerlegen, Zusammenfügen, Recyclen). Wir sahen uns häufig, tauschten uns aus und bewegten uns verbindend in verschiedenen Kreisen. Schiffe waren ein treffendes Symbol von Aufbruch, Zielsuche und Unstetigkeit während der letzten zwei Jahrzehnte das 20. Jahrhunderts. Nach der Jahrhundertwende konzentrierte sich Heide Weidele stärker auf die Verwandlung von Alltagsmaterialien, sie nahm die Kunststoffe mit in den künstlerischen Raum. Ich verlor den inneren Kontakt zu ihren Arbeiten, fand nicht mehr meine Motive und Symbole wie bei den aus Pappe und Holz gebauten „Bootschaften“. Die Zusammenarbeit zerbröselte wie das bei alten Kunststoffen vielfach der Fall ist. Dennoch habe ich mit längeren Pausen die Künstlerin weiterhin in ihrem atmosphärisch anheimelnden Seilerbahn-Atelier besucht.

Sonnenwagen einer möglichen Galaxis

Nun stand ein Ausstellungsbesuch in Frankfurt an mit den Arbeiten einer neuen Phase im Werk von Heide Weidele. Als wir einen Treffpunkt vereinbarten, schrieb sie klar: „Ohne KASACHSTAN geht nix.“ Der Besuch ihrer jüngsten Ausstellung stand somit am Beginn des Samstags. Es war ein guter und treffender Hinweis. Die Sonne lachte und die Wärme ließ uns bald aus der B1 Ebene der Station Taunus-Anlage ins bestens frequentierte Café im Grünen flanieren.

Wie verändern sich Werk- und Sehgewohnheiten, wenn Künstler*innen und Betrachter*innen mit einer gewissen Ferne älter werden? Die Jahre enger Zusammenarbeit in unserem Leben lagen ja nun schon etwa zwei Jahrzehnte zurück. – Ich fühle mich wieder näher an Heides Werk. Zum Material Alltagsplastik ist deutlicher als zuvor das Material Neon-Licht getreten. Geblieben ist der Aspekt von Collage und/oder Recycling. Heide Weidele nimmt immer noch die Alltagselemente der Zeitgenossen auf.

Kunststoff-Reste, Neonlicht, schwarze Tiefe und Raum, der sich ins Dunkel hüllt

Der junge, erst seit 2017 existierende „Kunstverein Ebene 1 Taunusanlage“ wagt ein Experiment mit einer etwas anderen Form der Kunst im öffentlichen Raum. Sie umrahmt in Virtrinen gebannt einen Durchgangsbereich, der vier Ein- und Ausgänge hat – eine Art „Durchgangs-Stern“. Am Oster-Samstag war er total verweist, ansonsten hetzen die Menschen über diesen Platz, den man nicht als Platz wahrnimmt. Hier will man nur durch zur nächsten Treppe, die ins Freie führt, vorbei an zu erwartenden Werbeversprechungen. Ein DB-Shop ist das einzige Alltagrelikt, das während des Tages sein Inneres (Monitor-Informationen) in alle umliegenden Glasscheiben wirft. Reflexion ohne Ende, was auch Heide Weidele nicht beim ersten Besuch vor Ort realisierte, aber sie baute die Irritation in ihr Spiel mit Licht, Raum und Material ein.

Olaf Rademacher, gleichfalls langjähriger Künstler-Freund und Partner von Heide Weidele fragte mich schon nach der ersten Volldrehung um die eigene Achse: „Was sagst Du, was siehst Du da.“

Ich zählte meine Bildassoziationen auf: einen der Schlitten von Beuys aus dem „Rudel / the pack“ (1970, Kassel) – dem sich ins Unterirdische drehende „Rueda de la Futura“ / Glücksrad von Gabriel Orozco, 2000 zur Expo in Hannover – einem auf die Erde gefallenen „Himmelswagen“ (ohne klare Zuordnung zu einem Werk) und zwei den frühen Schiffs-Formen anempfundenen Zeichen als Zitat von Heide Weideles eigenem Bild-Kanon.

Großer Schaufenster-Galeriebereich

Der Oster-Samstag entsprach dann fast symbolhaft der Leere und Unkenntnis dessen, was sich hinter KASACHSTAN verbergen mag.

Die Künstlerin wählte den Titel, weil auch sie keine „Füllung“ für das fremde Wort hatte, aber es als Titel stehen ließ, nachdem sie es dem größten Weltraumbahnhof der Welt in Baikonur und der darum sich ausbreitenden Steppe und Wüste zuordnen konnte. Leben im (N)irgendwo? – Das bleibt den vorbeihastenden Nicht-Betrachtern vorbehalten.

Zweiter Schaufenster-Galeriebereich

Mir ist diese Installation die Brücke von den frühen Collage/Recycling Arbeiten zu den plastik-besetzten; KASACHSTAN verbindet für mich beide Ufer. In der Gestaltung der glasverschlossenen Wandräume wird für mich der Reiz der abfahrenden und ankommenden Schiffe wieder greif- und sichtbar. Die „Leuchtfeuer“ kommen mit den Neonröhren neu hinzu und ersetzen in meinem „Bilder-Buch“ im Kopf die großen Karton-Vasen, die Heide Weidele Ende der 1980er Jahre entwickelte, als sie erfuhr, dass es mit Tschingtau, heute Qindao, einen deutsch-chinesischen Hafen gab. Ich habe ihn zwischenzeitlich zweimal besucht.

Ausstellungen sind nicht nur die Welt der Künstler, Ausstellungen sind auch die Welt der Betrachter. Beide haben ihre eigene Wahrheit. Mit Heide Weidele spazierte ich ein wenig in meiner Kasachstan-Wahrheit.

Umbo – eine exemplarische Bauhaus-Biographie? – Ein Kolloquium

Unter diesem ambitionierten Titel veranstaltete das Sprengel Museum Hannover ein Kolloquium zum Einstieg in das Wissen, die Fragen und die noch nicht gefundenen Antworten zu Leben und Werk des Fotografen Umbo (= Otto Maximilian Umbehr, 1902 – 1980).

Umbo in der Kestner Gesellschaft 1979. Foto: Peter Gauditz

Elf Referent*innen und vier Moderato*innen bemühten sich, in netto 5 Stunden die Jahre von Umbo’s Leben und Wirken einem Publikum von etwa einem halben Hundert interessierten Zuhörenden zu erläutern.

In vier Blöcken wurden Themen und Fragen zum Bauhaus und den 1920er, 30er und den Nachkriegsjahren angerissen und behandelt. Vorgesehen waren jeweils zehn Minuten Erörterung/ Vortrag und anschließend ein gemeinsames Gespräch unter Einbeziehung von Publikumsfragen und -meinungen. Die Referierenden waren ausschließlich wissenschaftlich ausgebildet und auch entsprechend tätig. Sie schöpften somit aus einem Wissensschatz, der dem Großteil der Anwesenden im Publikum wohl kaum zur Verfügung stand. Das verlangte dem Publikum ein sehr hohes Maß an Konzentration ab. – Meine Notizen sind demgemäß Bruchstücke oder waren vielfach vergebliche Versuche einen Gedanken, einen Satz festzuhalten, ohne den nächsten Gedanken zu verlieren.

Rolf Sachsse (emeritierter Prof. für Designgeschichte und Designtheorie) versuchte, den Denk-Raum dadurch zu öffnen, dass er die Situation von Studierenden (im Bauhaus wie an heutigen Universitäten) als Feld von Unsicherheiten und Verunsicherungen charakterisierte: „Ich kenne das Gefühl, wenn viele Leute kommen, die nicht wissen, was auf sie zukommt, und von Leuten, die kommen und nicht wissen, was sie wollen.“ So sah er die Situation von Umbo, als der in Weimar 1921 den Bauhaus-Vorkurs besuchte. Den Grundkurs verstand Sachsse, aber vermutlich auch Umbo und die anderen Bauhäusler als einen Raum, in dem jeder sich selber suchte. Es war ein Kräfte zehrendes Suchen ohne rasches Finden von Ergebnissen.

Sachsse stellte Umbo’s Relegation vom Bauhaus 1923, noch vor dem Ende des Vorkurses in den Kontext der politischen Situation: in den regionalen Zeitungen wurde das Bauhaus, das dem Publikum noch nicht gezeigt hatte, was es wollte und konnte, in Leserbriefen politisch übel beschimpft. Die noch nicht ausgefeilte rechte Ideologie kann man heute nachvollziehen, wenn man sich Trumpsche Tweeds und Reden ansieht. Sachsse hat diesen Vergleich nicht formuliert, aber er hat angedeutet, dass die Relegation Umbo’s (z.T. wegen ständiger Verspätungen, über die sich sein Lehrer Johannes Itten beschwerte) ein Opfer zur Beruhigung der öffentlichen Meinung gewesen sein könnte.

In den Meisterprotokollen steht zum Fall Umbehr (Sitzung 11. 12. 1922): „Um aber nicht einen Fall zu schaffen, der aussieht wie der Ausschluss aus der Schule (mit Rücksicht auf die heut übliche Formel einer solchen Tatsache für sein späteres Fortkommen), soll eine besondere Formel angewandt werden. Es wird beschlossen, dem Umbehr mitzuteilen, dass wegen seiner Interessenlosigkeit seine „Streichung aus der Schülerliste“ vorgenommen wird.“

Angelika Lammert (Akademie der Bildenden Künste und Humboldt-Universität in Berlin) beschreibt den Unterricht von Itten als eine Übertragung der Rhythmisierung von Körperbewegungen, die er aus Bildern alter Meister in die Gegenwart übertrug. Es war ein neuer Zugang zum Körper, der möglicherweise auch durch den Augenschein kriegszerstörter Körper (Krüppel und Versehrte) im alltäglichen Umfeld unterstrichen oder sogar radikalisiert wurde. Die „Kriegskrüppel“ in der Kunst dieser Jahre und im alltäglichen Straßenbild, was uns heute weniger präsent ist, sind dafür ein deutlicher Hinweis.

Wenn nach der „Starre“ des ersten Graben-Krieges in der Geschichte in den Illustrierten gerne Gymnastik treibende junge Frauen abgebildet wurden, hat das sicher auch damit zu tun, dass man für die Gesellschaft und für die Nation (?) einen Frühling beschwören wollte, einen positiven Impuls, dass das Leben weitergeht.

Die „neue Frau“ war ein medialer und künstlerischer Fokus während der 1920er Jahre. Frauen wurden in den Medien als jung, attraktiv, selbstbewusst und zielstrebig dargestellt und vorgeführt. Das „Mondäne“ war dabei so etwas wie das Sahnehäubchen, das immer auch versprechen sollte, dass man dazu nicht unbedingt reich sein musste.

Umbo fotografierte eine Zeitlang intensiv Ruth Landshoff als nüchternes Gesicht, obwohl sie als Nichte des Verlegers Samuel Fischer aus einem begüterten und exponierten Haus kam und dann noch durch Heirat zur Gräfin York wurde. Die Zeitschriftenleser wussten aber, dass sie eines der „It-girls“ ihrer Zeit war. Das Mondäne war damals vermutlich der stellvertretene Versuch, sich vom allgemeinen Alltag abzuheben.

In solchen „Gegensatz-Fotos“ wurde, so ein deutlicher Tenor der Beiträge, Umbo zum „Bauhaus-Fotografen“.

Daneben, das ist in der Ausstellung im Sprengel Museum zu sehen, abstrahierte Umbo parallel dazu das Frauenbild bis zu unbekleideten Schaufensterpuppen (so Katarina Sykora, Prof. in Bonn und Braunschweig). Sie formulierte: Das Ideal der neuen Frau war ein offenes Experimentierfeld – mit dem Hinweis „Auch der neue Mann ist ein gemachter [ = gebauter] Mann“.

Dieser Einblick ist nur ein Ausschnitt aus dem Kolloquium; er gibt ein paar Anregungen.

Hilfreich zum Verständnis ist unbedingt der Katalog, ein 335 Seiten dickes Buch (€ 48,-), das mit Fotos- und Seitenabbildungen einen sehr guten Einstieg in die unterschiedlichen Phasen von Umbo’s Œuvre gibt, bevor es dann informative Texte enthält.

p.s. Ich habe mich bemüht, die mir sympathische Aufforderung der Stadt Hannover, Sprache möglichst geschlechtsneutral zu benutzen, in diesem Text bewusst umzusetzen. Es ist schwierig. Man muss dazu Sätze anders mit Wörtern besetzen und grammatikalisch strukturieren. Neben den Schwierigkeiten ist es ein Gewinn, dadurch Einblick in die historische Beschaffenheit unserer Sprache zu erhalten. Gesellschaftliche Rollenfixierungen werden dabei sehr rasch deutlich, ebenso aber auch die Tatsache, dass wir noch kaum Wege in eine gleichberechtigende Darstellung kennen.

Atlantis ist wieder aufgetaucht. Umbo. Fotograf

Das Sprengel Museum Hannover geht mit einer umfangreichen, fulminanten Foto-Ausstellung in das Jubiläumsjahr des Bauhauses. Es zeigt „Umbo.Fotograf“. Eine großartige, auch schwierige Ausstellung über einen „versunkenen“ Künstler, der im Bauhaus Weimar 1921 – 23 begann und 1945 im zerstörten Hannover strandete. Dazwischen lag ein unstetes und doch erfolgreiches Leben als Fotograf, von dem nach dem durch Bomben zerstörten Wohnhaus und Atelier in Berlin kaum etwas übrig blieb.

Bis zu seinem Tod 1980 lebte Umbo in Hannover – und wer nach 1960 geboren wurde und einige Jahre in Hannover lebte oder immer noch lebt, der konnte Umbo an der Kasse der Kestner-Gesellschaft in der Warmbüchenstrasse als freundlichen Cicerone aktueller Kunst erleben.

Umbo in der Kestner Gesellschaft 1979. Foto: Peter Gauditz

Fotos von Umbo waren ein rarer Schatz, sein Archiv in Berlin war ja verloren gegangen.

Ich habe ihn auch noch am Eingang der Kestner Gesellschaft erlebt, aber ohne irgend ein Wissen um seine Profession oder gar um seinen guten Ruf als Fotograf in den Jahren der Weimarer Republik.

Als ich in der gerade eröffneten Retrospektive ein Foto sah, das ihn in der Kestner Gesellschaft zeigt, erinnerte ich mich an Figur und Gesicht dieses ansonsten fast geisthaften oder ätherischen Künstlers und ganz in der Nähe liegt auch ein Foto mit Umbo zwischen jungen Fotostudierenden und da hätte ich gut einer von den Abgebildeten sein können.

Umbo und Studierende

Etwa 600 Fotos sind von Umbo’s Lebenswerk übrig geblieben; in einem fast zehn Jahre (oder sogar mehr) dauernden Verhandlungsmarathon ist dieses Rest-Werk von seiner Tochter; einem Sammler und einem Galeristen erworben worden und wird in der Berlinischen Galerie, dem Dessauer Bauhausmuseum und dem Sprengel Museum nun beheimatet sein.

Von dem für einen Fotografen überschaubaren Œuvre von nur 600 Arbeiten sind in der Ausstellung des Sprengel Museums 200 in kleinen Rahmen in der großen Ausstellungshalle an Wänden und in Vitrinen präsentiert: eine Ausstellung, die den Betrachter zur Nah-Sicht zwingt.

Umbo wird hier wieder zu einer greifbaren Figur; entfernt sich von dem Phantom, das phantasievolle Ketten um den Hals trug, wie man sie heute fast nur den dunkel gekleideten Gothics zutraut.

Bei der Pressekonferenz standen die Umstände der Zusammenführung dieser Sammlung, die Biographie und die Lebensumstände eines genial-dilettantischen Experimentierers im Vordergrund.

An Umbos Fotos hatte ich nur eine blasse, verschwommene Erinnerung. Ich hatte ja auch nur sehr wenige zuvor sehen können. In der Ausstellung sah ich die Fotos noch ohne Beschriftungen, wurde also nicht abgelenkt von Jahreszahlen oder Zusammenhängen. Bestechend erscheinen mir seine frühen Kopf- /Portrait-Fotos. Sie gehören zu seiner „Findungsphase“ als Fotograf, bald nach seiner Relegation vom Bauhaus (1923). Umbo hat die Gesichter der Portraitierten fragmentiert; er gestaltete ein pars-pro-toto Spiel. Als Betrachter bekam ich ein Gefühl für die Person, die im Foto eigentlich nicht erscheint. – Im umfangreichen Katalog fand ich später eine Illustrierten-Seite aus dem Jahr 1927 mit vier dieser Fotos unter der Überschrift „Photografiere in Raten“. Und es gab einen erläuternden Text von Umbo, der seinen Kunst-Griff ein wenig karikierend, ein wenig neckisch als Camouflage fehlender Schönheit anpreist. Ob es ein autentischer Umbo-Text ist, lässt sich ebenso stark bezweifeln wie dem Fotografen freudig zuschreiben.

Umbo brachte seine Fotos immer wieder in ein Schweben zwischen entlarvender Ehrlichkeit und spielerischer Maskerade. Ich kann mir vorstellen, dass er damit auch eigene Unsicherheiten zu verdecken suchte.

Mir kommen japanische No-Schauspieler in den Sinn, wenn ich diese Fotos sehe und auch die Schaupieler-Portraits der Meiji-Periode. Dass Umbo ein wenig später eine treffende Reportage zum berühmten Clown Grock machte, ist (inhaltlich) nicht weit entfernt davon.

Als weitere herausstechende Stile (oder Perioden) empfinde ich die Magazin-Fotos der 1930er Jahre und dann auch wieder der 1950er Jahre. In den 1930ern versinkt die Individualität des Fotografen oftmals im dynamischen Layout, mit dem das Gefühl der Schnelllebigkeit dieser Jahre auszudrücken versucht wurde.

Reportage „Sportomnibus“ in „Der Stern“ 30.1939

In den 1950er Jahren hat Umbo Reportagefotografien über das deutsche Nachkriegsleben (für seinen nun in London lebenden Berliner Freund Simon Guttmann) erarbeitet, erschienen in der englischen „Picture Post“, die für ihn schon vorher ein Fenster zur Internationalität der Fotosprache gewesen war.

Die Fotografie Umbo’s in den 1930er und auch in den 1950er Jahren ist vor allem eine Zeitschriften-Fotografie. Da es nur zwei Kontaktabzüge (von insgesamt vier?) in der Ausstellung gibt, lässt sich für Betrachter wie Forscher nicht eruieren, wie sich Layout und Fotografen Intention unterscheiden. Wie selbstherrlich noch in den Illustrierten trächtigen Nachkriegsjahren die Redaktionen mit dem Bild- und Wissensmaterial der Fotografen umgingen, hat Robert Lebeck in seinen Erinnerungen (1999 und 2004) mehr als nur angemerkt – und es war in der Wolfsburger Ausstellung „1968“ bestens erkennbar (2018).

Typologie der Nachkriegszeit. Hatte sich Umbo vorher mehr auf in sich geschlossene Bildräume konzentriert, kombiniert er hier den Einzelnen innerhalb seiner Mitmenschen.

Umbo’s Fotovorlagen sind für mich sowohl in den 1930er als auch in den 1950/60er Jahren präzise und variabel – und an den unterschiedlichen, jeweils sehr zeitbedingten, Layouts lässt sich die hohe Qualität der Fotografen-Arbeit ablesen.

Umbo wurde vor und nach dem Zweiten Weltkrieg für seine Fotografie gelobt, aber Entdecken und Entschlüsseln ist die Aufgabe für alle Betrachtenden. Betroffenheit ist dann vielleicht der erste Schritt zum Verständnis.

Ja. Was nützt es einem, berühmt zu sein, wenn es kein Mensche weiß“, schreibt Umbo an die Neue Zeitung in Frankfurt 1952, „Nun wissen es einige.“

Umbo = Otto Maximilian Umbehr, geboren am 18. Februar 1902 in Düsseldorf, verstorben am 13. Mai 1980 in Hannover.

Die Ausstellung im Sprengel Museum geht bis zum 12. Mai 2019

Ein kluger Narr

Narrenschiff – kein Kommentar zur Situation auf dem Mittelmeer. Eigentlich lautet der Titel „Flaschenpost“, 2015

Frank Schult in Celle

1994 hatte Frank Schult im Bomann-Museum Celle seine erste umfangreiche Ausstellung. 2018, 24 Jahre später wird er wieder im gleichen Haus präsentiert, das heute Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon heißt. Anlass der neuen Ausstellung ist der 70. Geburtstag des Künstlers.

Frank Schult durfte nach mehrjährigem Warten 1989 aus der DDR ausreisen, wenig mehr als ein halbes Jahr vor der Maueröffnung. Da wurde seine Malerei im neuen Zuhause Celle (nach einem kurzen Aufenthalt in Fulda) kaum beachtet; er war ja kein Signal mehr für das freiere Leben im Westen.

1989 konnte ich seinen ersten Katalog betexten und gestalten; ich gab ihm den Titel „beiderseits“. Mein erster Satz im Katalog lautete: „Man kann schnell aus einer Tradition herausgeworfen werden, aber man findet nur schwer in eine neue wieder herein.“

Das „auf beiden Seiten stehen“ ist immer noch der Standort von Frank Schult und der Titel meines zweiten Kataloges für ihn, wenig später, „gegenwartsvergangen“ stimmt auch noch immer.

vermutlich mehr ein Wunsch, doch mit vielerlei An-Denken versehen, etwa an den jungen Baselitz

Die Gegenwart von Ausbildung und Leben in der DDR ist bis heute ein prägender Teil seines Lebens. Prägend vor allem in der Schärfe seines Blickes auf die Welt und in der Kommentierung der Zeitläufte. Frank Schult war Meisterschüler von Willi Sitte und ein vom Meister sehr geachteter, was damals wie heute ein zweischneidiges Schwert ist.

Die aktuelle Ausstellung in Celle ist zahlenmäßig weniger umfangreich als die erste, aber sie ist eindrücklicher – und ich hoffe, auch einfacher für das Publikum zu lesen. Das aber kann ich nicht beurteilen.

Frank Schult erzählt gern in doppelt verschlüsselten Bildern – kultur- und politikgeschichtlich einerseits und emotional und biografisch andererseits. Und da er mit seinem Pinsel durchaus Anklänge an viele bedeutende und bekannte Vorgängerkünstler in die eigenen Erzählungen einflechten kann, setzt er sich immer wieder zwischen auch diese Stühle.

Entwurf für eine Wohnmaschine_ ein nach Außen gestülptes Innenleben?

Die Präsentation in Celle zeigt sehr deutlich, wie wandlungsfähig Frank Schult ist, dabei sind dort nur großformatige Arbeiten zu sehen, nur wenige Skulpturen (aber sehr schöne), keine Papierarbeiten und man erfährt auch nichts über seine Bühnenbilder, mit denen er immer wieder Räume öffnet für das Verstehen von Sprache und sinnlichem Ausdruck.

 

Der Wohnmaschinen-Entwurf als Wand geeigneter Kommentar

 

 

 

Alle Gemälde erzählen seine Sicht auf Zeit und Welt, alle Bühnenbilder öffnen den Raum für Verständnis und die meisten der Papierarbeiten sind, was die Stundenbücher dem gebildeten Adel waren, Objekte der Meditation und Versenkung. Man sollte die Bilderzählungen aber nicht beim Wort nehmen, sondern bei den Möglichkeiten ihrer Deutungen.

Als ich mit Frank Schult vor dem eindrücklich roten Gemälde „Narrenschiff“ stand und mir Assoziationen zu Surfen auf dem Woodstock-Gefühl h0chkamen, kommentierte er trocken „und ich bin der Narr“.

Der Künstler als Narr ist heute offensichtlich out. Frank Schult fühlt sich aber unter Narrenkappe und im Schellenanzug durchaus zu Hause. Schließlich war der Narr über lange Zeit der einzige, der den Herrschern duch Wort und Geste paroli bieten durfte.

Ich achte ihn deshalb ebenso hoch wie den Christoph Kolumbus von Peter Bichsel in „Amerika gibt es nicht“.

Die Ausstellung läuft leider nur noch bis zum 3.09. Ich war sehr spät dran mit meinem Besuch.

Elblandschaft bei Dresden, 2016

Erinnerungen an das Morgen von gestern – eine Ausstellung im Sprengelmuseum

Eine Art Fliegender Welt von Günter Haese, wie ein Zukunftsentwurf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

 

In einer kleinen, zweigeteilten Ausstellung präsentiert das Sprengel Museum Hannover drei Künstler, die der Stadt verbunden sind (oder waren) und die in ihren Skulpturen und Malereien die Zeiten von Gewalt, Tod, Unterdrückung und Repression in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verarbeiten. Alle drei sind kräftige Künstler mit eigener Sprache, aber sie haben nicht das Flair internationaler Reputation. Jeder der Künstler hat einen eigenen Raum und kann sich somit ohne nachbarliche Irritationen ausbreiten. Jeder erzählt seine eigene Geschichte.

Die drei Künstler sind Hans Uhlmann (1900- 1975), Günter Haese (1924 – 2016) und Asmus Petersen (1928).  Petersen hat gerade seinen 90. Geburtstag gefeiert. Ich komme in einem eigenen Text noch auf ihn zurück.

Alle drei haben ihre Meriten, doch keiner ist zu einem bedeutenden internationalen Künstler geworden, trotz internationaler Präsentationen. Jeder hat seine eigene Sprache und verkörpert einen Aspekt der Nachkriegszeit in Deutschland, der Bewältigung einer politischen oder persönlichen Katastrophe und formuliert eine Zukunftssicht.

Es gibt keinen Katalog zu diesen drei kleinen Ausstellungen (jede etwa mit 30 bis 50 Objekten), aber Erläuterungsblätter mit prägnanten Informationen und Erläuterungsandeutungen. Das führt dazu, dass sich jeder Besucher tatsächlich selbst einen Zugang, eine Erläuterung finden muss.

Ich hatte das Glück, bei der Pressekonferenz den Sohn des erst vor zwei Jahren verstorbenen Günter Haese zu treffen, der viele Arbeiten aus dem Privatbesitz beigesteuert hat. Ich fragte ihn nach den sehr gleichmäßigen feinen Drahtgeflechten in den Skulpturen seines Vaters; ich wollte wissen, ob er diese „Netze“ selber geflochten oder gestrickt hätte. Günter Haese (der Sohn trägt den gleichen Vornamen wie der Vater), antwortete mit dem Hinweis: „Damals gab es „Goldtaler“, das waren Schokoladentaler in gold-gelber Alufolie in einem Säckchen aus Alufäden.“ Daraus ergab sich die „Käfigstruktur“ der Objekte. Dass daraus ein ästhetisches System wurde, war wohl nur möglich, weil der Künstler diese Materialien im frühen Nachkriegsdeutschland von den Herstellern geschenkt bekam. „Ein Künstler; nehmen Sie mit, was Sie wollen“, so etwa schildert der Sohn die Situation, die er als Kind miterlebt hat.

Mechanik war auch Mitte des 20. Jahrhundert immer noch die gängige Technologie. Und der Künstler Günter Haese bediente sich dieser, ihm vertrauten Technologie. Was dadurch entstand, bezeichnete die Kuratorin Carin Plath wissenschaftlich zutreffend als „Sinnstiftung in dieser Zeit“.

Ich kenne diese Zeit auch aus meiner Kindheit, erinnere mich ebenfalls an die Säckchen voller Goldtaler (die bis heute noch auf dem Markt zu finden sind), assoziiere allerdings eher Käfige, scheinbar offene Räume und luftige Utopien. Auch das sind „Sinnstiftungen in dieser Zeit“.

Emotional berührt haben mich trotzdem vor allem die Alltagshinweise des Sohnes Günter Haese, die er im Gespräch weiter angereichert hat mit Erinnerungen, wie sich sein Vater gegen eine totale Vereinnahmung großer Galerien wehrte und dadurch seine Entscheidungsfreiheit bewahrte, aber einen geschichtsträchtigen internationalen Namen verschenkte. Ein entscheidender Einbruch in seinem Leben war das nicht: „Mein Vater hat immer verkauft“, sagt der Sohn.

Kunst und Alltagsleben – das ergibt auch einen Weg zum Verstehen. – Eine sehr sehenswerte Ausstellung (bis 7. Oktober 2018)

Diese Arbeit von Günter Haese würde ich gerne eine Space-Schaukel nennen

Die Beleuchtung innerhalb der Ausstellung gibt den Arbeiten im Foto einen eigenen, futuristischen Hauch. Das sieht man nicht in der Ausstellung. Mit gefiel aber das Spiel der Schatten zusammen mit den Objekten und deshalb wählte ich nicht die Pressefotos.

 

 

 

This was Tomorrow – Rückblick in die vergangene Zukunft

Kunstmuseum Wolfsburg „This was Tomorrow“ – Pop Art in Great Britain

30. Oktober 2016 bis 19. Februar 2017

 

Überblicke sind so hilfreich wie verwirrend - Ein-Blick in die gelungene Ausstellungsarchtektur

Überblicke sind so hilfreich wie verwirrend – Ein-Blick in die gelungene Ausstellungsarchitektur

 

Die Führung und Erläuterung der Ausstellung durch die beiden Kuratoren dauerte bei der Pressekonferenz eineinhalb Stunden, der Katalog hat einen Umfang von 432 Seiten und bildet ca.400 Werke an Malerei, Skulptur, Zeichnung, Skizzen ab.

Wie lang müsste da eine Rezension, eine kritische und einordnende Betrachtung sein, die ja Beschreibung, Würdigung, Erweiterung, Korrektur und vielleicht auch Widerspruch sein kann?

So gesehen gibt es keinen angemessenen Versuch. Dennoch: ein paar Bemerkungen, ein paar Gedanken und schon vorab die Empfehlung, sich selbst auf den Weg zu dieser Schau zu machen.

Was in Wolfsburg zusammengetragen und zusammen gestellt wurde, ist eindrucksvoll.

R.B.Kitaj "Warburg as Maenad", 1962 - Mein Lieblingsbild in dieser Ausstellung, auch wenn ich nicht weiß, ob "Warburg" auf Aby Warburg verweist, dessen Bibliothek ja vor dem Krieg nach London gerettet wurde.

R.B.Kitaj „Warburg as Maenad“, 1962 – Mein Lieblingsbild in dieser Ausstellung, auch wenn ich nicht weiß, ob „Warburg“ auf Aby Warburg verweist, dessen Bibliothek ja vor dem Krieg nach London gerettet wurde.

1956 – 2016

Mit Jahreszahlen verweist man gerne auf Bedeutung – Geburtstage sind ja auch im Alltagsleben Tage des Feierns und der Vor- und Rückblicke.

Das Kunstmuseum Wolfsburg nahm sich den 60. Geburtstag der „bahnbrechenden Multimedia-Installation Fun House realisiert für die Ausstellung This is Tomorrow“ (Katalog) in London vor. Die Ausstellung fand 1956 statt und gilt als der Beginn der POP Art – oder er wird von der Ausstellung dazu gemacht.

 

 

Aus This is Tomorrow wurde zwangsläufigThis was Tomorrow – ein schöner Titel für eine mit viel Material und kluger Ausstellungsarchitektur dargebotenen Präsentation von fast zwanzig Jahren Nachkriegskunst in Great Britain.

Aber wer im aktuellen deutschen Publikum erinnert diese Ausstellung und wer setzt sie mit Pop Art, vor allem britischer Pop Art gleich? Richard Hamiltons Collage „Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?“(1956) ist zweifellos eine Ikone des Pop und ein Kunst-Stück, an dem ich persönlich sehr hänge. Aber den Umkreis dieser Ikone ist in keine mir erinnerlichen Pop-Ausstellung gezeigt worden. Pop wurde in den deutschsprachigen Ländern vor allem mit amerikanischen Beispielen belegt. Die Ausstellung in Wolfsburg kann zeigen, dass das ungerechtfertigt ist; aber sie hat nicht die richtigen Wörter und Hinweise dafür gefunden.

Die Ausstellung beginnt mit zwei kurzen, als Endlosschleifen laufenden Filmsequenzen mit amerkianschen GIs und französischen Freundinnen in Paris – der Eifelturm schaut zu. Ein junges Publikum kann darin ein frühes Selfie mit Nachkriegscharme sehen, aber was die zwei Szenen im Umkreis von Magazin-Collagen sagen sollen, bleibt unklar. Es läßt sich aber erklären: Paris verweist auf den schottischen, mit italienischem Namen fremd klingenden Künstler Eduard Paolozzi (1940 als Sohn italienischer Emigranten geboren, dessen Vater noch als „feindlicher Ausländer“ interniert wurde und auf einem Schiff nach Canada abgeschoben werden sollte, das auf der Fahr torpediert wurde). Paolozzi hielt sich 1947 mit einem britischen Stipendium für zwei Jahre in Paris auf und – so muß der Betrachter assoziieren – brachte die Faszination für amerikanische Magazin-Titel nach London.

Eduardo Paolozzi "I was a Rich Man's Plaything, 1947. Steht hier "Pop" noch eher für laut-malerisches "Plop"?

Eduardo Paolozzi „I was a Rich Man’s Plaything, 1947. Steht hier „Pop“ noch eher für laut-malerisches „Plop“?

Im Katalog gibt es dafür keinen Beleg. Da amerikanische Truppen schon vor dem D-day (6. Juni 1944, Landung der Alliierten in der Normandie) in England stationiert waren, sind die amerikanische Magazine wohl allgemein bekannt, wenn auch nicht in jedermanns Händen gewesen. Die durch viele und ganzseitige Abildungen ins Auge springenden Themen der GI Lektüren („farbiges Konsumglück, verführerische Frauen, verlockende Lebensmittel, Maschinen aller Art, Comics und Science-Fiction“, Katalog) waren für die jungen Künstler in England die Welt der Zukunft, die Erlösung von der Nazi-Bedrohung.

 

Paolozzis Collagen in einem Experimentalfilm (12 min), zusammen mit Denis Postle (Regie), 1963

Paolozzis Collagen in einem Experimentalfilm (12 min), zusammen mit Denis Postle (Regie), 1963

In den Collagen von Paolozzi taucht noch viel (Kriegs)Technik auf, viel Erinnerung an „Metropolis“ und Maschienenwelten. Mit der Vision eines (möglichen) amerikanischen Lebens begann die Pop Art und mit einer Verweigerung gegen den Primat des englischen Kunstetablishments begann das künstlerische Nachkriegseuropa.

Der Blick auf die Anfänge in England ist da richtig und korrigierend – für eine Erinnerungsausstellung in Deutschland braucht man da allerdings ein paar mehr Erläuterungen. In Deutschland gingen die jungen Künstler nach Paris (teils zu Fuß, teils mit dem Fahrrad), um zu sehen, was sie verpasst hatten und was bei den Nachbarn die Zukunft war. Vor der Pop Art eroberte das Informel die junge deutsche Kunst. Figurative Malerei und Darstellung waren nicht, wie im britischen Pop, die Basis der Kunst, von der man sich abheben wollte.

Swinging London, als das Ende des britischen Pop, wird besser verständlich, wenn wir die divergierenden Ausgangspositionen der Nachkriegskunst in Europa betrachten.

Diese Einwände gelten dem Anspruch, den die Ausstellung erhebt, nicht der Darstellung und Ausbreitung der britischen Pop Art. Die Ausstellung führt durch sehr unterschiedliche „Häuser“, deren „Bewohner“ individuelle Künstlerleben aufbauten.

Neue Stadtstruktur" der Architektengruppe "Archigram", 1961, die ein neues europäisches Stadtleben entwerfen

Neue Stadtstruktur“ der Architektengruppe „Archigram“, 1961, die ein neues europäisches Stadtleben entwerfen

Ein englische Malerfreund, mit dem ich die Ausstellung bei einem zweiten Besuch durchlief und der selbst in der britischen Nachkriegskunstszene aufwuchs, zollte der Zusammenstellung hohes Lob: „Ich wüßte nicht, was an bedeutenden Werken hier fehlte“.

Hilfreich wäre im Katalog der Hinweis gewesen, dass die Absolventen des Royal College of Art, das wohl alle präsentierten Künstler durchliefen, jeweils drei Arbeiten dem College übergeben mußten, und dass das der Fundus für die gute Präsentation wichtiger Frühwerke ist.

This was Tomorrow“ ist eine Präsentation von geradezu berstender Informationsdichte, die so dargeboten wird, als ob jeder die Schlüssel zu den vielfach sehr versteckten Eingängen bei sich tragen würde. Allein der zentral gesetzte Antonioni Film „Blow up“ transportiert für jüngere Leute kaum etwas von der Brisanz der Umbruchszeit in den frühen 1960ern. Ich habe es erlebt, dass sich Studierende nur über die langen Sequenzen äußerten.

Ohne intensives Katalogstudium ist die Ausstellung zwar immer noch ein optischer Genuss, aber sie vermittelt nicht die Wucht, die ihr durchaus zukommt.

Ron Herron (Archigram), 1969

Ron Herron (Archigram), 1969

Der Eingangstext von Direktor Ralf Beil ist die Kurzform seiner eineinhalb stündigen Einführung und sie verströmt das Pathos eines jugendlichen Helden auf dem Theater. Die nachfolgenden Texte sind weit nüchtener und können vieles von seiner methaphernreichen Sprache nicht verifizieren.

Nach der Raumexplosition von Richard Hamiltons Fun House , das in allen sinnlichen Details inklusive Jukebox und Erdbeerduft rekonbstruiert wird, betreten die Besucher kit der großen Ausstellungshalle des Kunstmuseums eine veritable „City of the Sixties“ (Ralf Beil)

Ich will die Bedeutung der Fun House Architektur nicht unterschätzen, aber die Rekonstruktion erschien mir eher schräg als sinnlich. Es tut der Ausstellung vermutlich gut, dass nur wenige der Besucher den großformatigen und schweren Katalog kaufen und auch lesen werden – denn sie alle werden eine Ausstellung erleben, die ihnen eigenes Einfühlen und hoffentlich intensives Nachfragen ermöglicht.

Neros Leben – ein bunter verschlissener Teppich

...und Nero zündelt weiterhin

…und Nero zündelt weiterhin

9. Juli 2016 – Besuch der Ausstellung „Nero – Kaiser, Künstler, Tyrann“ in Trier

Das Bild ist aus dem Gedächtnis nicht zu tilgen: Rom brennt und Nero singt. Es ist zu schön, um es nicht immer wieder durch Film, Foto oder Geschichten aufzurufen. Aber mit der Wirklichkeit (oder auch nur der Wahrscheinlichkeit) hat es nicht viel zu tun. Doch sogar am Ende des Nero Ausstellungsrundgangs im Rheinischen Landesmuseum zündelt Nero im Museums-Shop lustvoll weiter.

Vieles an Neros Leben erscheint spektakulär: der erzwungene Tod der Mutter (geboren im germanischen Oppidum ubiorum, dem heutigen Köln), der Tod zweier seiner Ehefrauen, der Brand in Rom und die (amateurhafte, schauerliche?) Lust zu Versen, Gesängen, Wettkämpfen. Fast alles ist zwar in historischen Texten zu finden, aber dennoch nicht bewiesen.

Wie stellt man ein solches Leben in einer Ausstellung oder gar in einem Museum dar? Trier hat den Versuch auf drei Institutionen und Ausstellungsorte verteilt. Das Rheinische Landesmuseum versucht die kurze, nur 14jährige Regierungszeit des Kaisers als eine Art Roman-Compress darzustellen – und das sehr erfolgreich.

Ich weiß nicht, wie ich mich als Schüler in dieser Ausstellung gefühlt hätte (mit mir waren vor allem Schüler die Besucher), aber mir haben viele kleine Hinweise Lust auf mehr Wissen gemacht.

Nero als Sieger-Figur auf einem Helm-Kinnschutz

Nero als Sieger-Figur auf einem Helm-Kinnschutz

Kaiser waren im Römischen Reich als Bild allgegenwärtig; gesehen haben Nero vermutlich nur sehr wenige Leute. Der Kaiser hielt das riesige Reich zusammen; daran wurde sein Erfolg gemessen.

Nero war ein beim Volk beliebter Kaiser, dennoch sind  eher wenig offizielle Inschriften und Statuen überliefert. Der Grund dafür liegt in seinem tragisch-traurigen Ende: er wurde 68 n.Chr. in Rom nach Aufständen römischer Truppen in Gallien zum Staatsfeind erklärt. Damit war er vogelfrei, konnte von jedem getötet werden und ließ sich von einem Getreuen erstechen.

Nero, der Kaiser, verfiel der damnatio memoria, der Auslöschung des öffentlichen Andenkens. Sein Name wurde aus Inschriften geschlagen, seine Statuen gestürzt und zerstört. Die meisten schriftlichen Überlieferungen sind parteiisch formuliert. Neros „Bild“ wurde von ihm selbst, seinen Zeitgenossen und den Nachgeborenen manipuliert.

Neros Selbstdarstellung läßt sich in einer Ausstellung durchaus darstellen, aber wie läßt sich darstellen, was er angeblich getan hat (vor allem die angebliche Brandstiftung)? Die Ausstellung versucht (im Grunde recht behutsam) das öffentliche Bild Neros zu präsentieren, vor allem in kleinen, fast beiläufigen Zeugnissen.

Spiel- und Eintrittsmarken für den Circus, die oft den Namen des Kaisers als Spenders trugen

Spiel- und Eintrittsmarken für den Circus, die oft den Namen des Kaisers als Spenders trugen

Dazu gehören Eintrittsmarken für Circus-Veranstaltungen, denen Neros Interesse und Zuneigung galt.

Nero präsentierte sich dem Volk als Wagenlenker, Sänger, Schauspieler und Musiker. Beifall vom Volk wollte er möglichst persönlich entgegen nehmen. Bei einer 16 monatigen Reise durch Griechenland kam er mit 1808 Siegerkränzen zurück nach Rom – und diese Rückreise trat er widerwillig an.

 

Grabstele mir SiegerkränzenWie ein ironischer Kommentar dazu sieht man in der Ausstellung den mit acht Siegerkränzen versehenen Grabstein eines unbekannten Sportlers oder Künstlers.

Nero konnte sich, so hat er wohl selbst mal geäußert, ein nicht kaiserliches Leben als Künstler vorstellen – aber als Kaiser wurde ihm der Siegerkranz natürlich nicht streitig gemacht.

Beim Brand von Rom war Nero übrigens nicht in der Stadt, sondern auf einem Landgut; er ordnete sofort an, dass seine Gärten für die Obdachlosen geöffnet wurden und sie zu essen bekamen. Der Beifall des Volkes war ihm wichtig. Daneben hat er sich so verhalten, wie das  Kaiser und Adelige vor ihm auch getan hatten: Luxus, Völlerei, Morde und Intrigen waren ein Tagesgeschäft.

Römischer Hausaltar mit Kaiserbild

Römischer Hausaltar mit Kaiserbild

Für ein gutes Leben und unterhaltsame Spiele in Rom war der Kaiser zuständig, das war die Erwartung, und auf dem Wohlwollen von Senatoren und Soldaten ruhte ihre Macht. Nero wollte sich daneben aber vor allem als Künstler etablieren und stieß damit auf das Missfallen der Senatoren. Solange er beim Volk beliebt war, sicherte es ihm die Macht. Nicht mal beim Brand von Rom gab es einen Umschwung.

Gladiator als Öl-Lampe

Gladiator als Öl-Lampe

Die Spiele und das hohe Ansehen der Gladiatoren hielten sein Ansehen hoch. Der „Talisman“-Charakter bekannter Gladiatoren ließ sich an Öl-Lampen ablesen, die mit sexueller Kraft protzten. Es war ein Teil der Fan-Kultur des ersten christlichen Jahrhunderts.

Die Ausstellung ist ein anregendes Puzzle-Spiel, das den Betrachter in kleinen Schritten in das Leben vor 2000 Jahren zieht. Wer dann auf den informativen Erläuterungstafeln noch auf die Fundorte der Objekte schaut, nimmt mit einiger Verwunderung wahr, dass die Nero-Verehrung auch in Gallien und Germanien weit verbreitet war. Rom war das Zentrum, aber der Kaiser war überall präsent.

Die Ausstellung sagt nicht, wie Nero wirklich war; sie führt  unterhaltsam vor, in welchem Zwiespalt zwischen Fakten und Legenden sein Leben und Handeln auf uns gekommen ist.

 

 

Dejavu als Fingerprint

10.10.2015

Mit einer Übersichtsausstellung der amerikanischen Künstlerin Rita Mcbride stellt sich   Christina Végh, die die ketsnergesellschaft in Hannover seit dem 1.Mai leitet, als Kuratorin vor.

Ein kuratorisches Debut hat so seine Tücken: jeder will darin wie antike Auguren oder Haruspices die kommenden Erfolge sehen. Für jeden Debutanten ist das ein Eiertanz: strengt man sich besonders an, hat man nachher nur noch wenig zuzulegen und muß womöglich damit leben, dass man Erwartungen nicht erfüllt hat; geht man es aber gemächlich an, werden Qualität und Qualifikation rasch als zu wenig erregend klassifiziert. Man kann es gerade wieder an den Premieren im Theaterbereich erleben.

Blick in den unteren Saal, dir frühere schwimmhalle

Blick in den unteren Saal, dir frühere Schwimmhalle

Christina Végh wählte für ihr Debut eine amerikanische Künstlerin, deren Weg sie nach eigenen Aussagen seit ihrer Studienzeit verfolgte. Das Œuvre von Rita Mcbride (geb. 1970 in Des Moines, Iowa), mit dem die Räume der Kestner Gesellschaft bestückt sind, erstreckt sich über gut zwanzig Produktionsjahre. Frühe Arbeiten aus dem Ende ihrer Studienzeit tragen allerdings Jahrenzahlen wie 2011 (Parking lots von 1988), weil sie erst spät als Objekte gegossen wurden. Das lässt sie gedanklich und ästhetisch aus dem Zeit-Kontext fallen, definiert aber durchaus zutreffend den Grundton ihres Werkes als einer performativen Minimal Art.

Der erste Eindruck von der Schau ist ein angenehmes, zustimmendes Gefühl der offenen und umfangenden Räumlichkeiten. Die Räume sind sparsam besetzt und doch zugleich gefüllt. Eine gewisse Leichtigkeit empfindet man, weil einem nichts fremd oder unvertraut vorkommt. Mancher wird wohl sanft durch seine Seh-Biographie geführt. In allem herrscht ein déjà-vu vor; für fast jedes Objekt fallen einem auch andere Künstlernamen ein. Christina Végh meinte, „jede Skulptur verweist auf einen Prozeß“, erscheint als ein geistiger Durchlauferhitzer für neue Potentiale. Unausgesprochen verweist das auf die Arbeit des Betrachters, der den Objekten erst ihren Kunstcharakter zuschreibt.

Parking Garage 2011 (1988)

Parking Garage 2011 (1988)

Schlüssel, Plasmaschnitte

Schlüssel, Plasmaschnitte

Die Künstlerin selber formulierte es als „I like to play with hierarchies“. Über die Art der Hierarchien sprach sie aber nicht. Rita Mcbride bezog sich bei ihren, meist recht allgemeinen Erläuterungen und Assoziationen ausschließlich auf amerikanische Situationen und mit keinem Wort wurde die mittlerweile eineinhalb Jahrzehnte dauernde Anwesenheit der Künstlerin in der deutschen und europäischen Kunstszene thematisiert. Seit 2003, das vermerkt auch die Einladung, ist Mcbride Professorin für Bildhauerein in Düsseldorf und seit zwei Jahren auch Rektorin der Kunstakademie. Während der Pressekonferenz fiel aber von ihr kein einziges deutsches Wort. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Werk und Ausstellung mit Oberflächen und Oberflächlichkeiten (etwa materialen) spielen und für sich auch Oberfläche bleiben. – Für Christina Végh vielleicht ein gutes Debut.

Christina Végh (lk) und Rita Mcbride

Christina Végh (lk) und Rita Mcbride