Triest ist als Stadt für mich ein Solitär; nicht eingebunden in eine Landschaft, eher ein eigenständiges literarisches Geflecht. Theodor Däubler begleitete mich als massiger Körper vor römischen Säulen in einem Portrait von Otto Dix aus dem Jahr 1927 seit den Jahren meines frühen Erwachsenenlebens. Im alten Haus des Wallraff-Richartz Museums sass ich oft vor diesem Gemälde, das mich in eine mir damals unbekannte Welt führte. Abwartend, auf einem einfachen Stuhl in legerer Schräglage sitzend blickt Däubler ruhig aus dem Bild. Dix hat den 51-jährigen Schriftsteller in die Landschaft gestellt, aus der seine Versepen kamen, die einige Jahre zuvor noch als vorweggenommene Höhepunkte zeitgemäßer Literatur galten. Zum Zeitpunkt des Portraitierens wurde er fast nur noch von Freunden hoch geschätzt, zum Zeitpunkt meiner Entdeckung des Portraits galt er allgemein schon als unlesbar.
Ich habe Däublers Portrait im Geiste durch mein Leben getragen, ohne mehr als nur wenige Verse seiner Dichtungen gelesen zu haben. Jetzt wollte ich ihn in seiner Geburtststadt Triest finden. Geboren wurde er 1876 in Triest, in der von der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie so sehr begehrten Hafenstadt am nördlichsten Zipfel des Adriatischen Meeres, schräg gegenüber von Venedig und ein wenig nödlicher als Split, der Residenz Kaiser Dioclezians (die ich schon am Ende der Schulzeit besuchte).
Däubler war einer der unruhigen Geister des deutschen Kulturlebens zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, ein ewiger Wanderer, in einem Atemzug zu nennen mit Peter Hille und gern auch mit Else Lasker-Schüler. Däubler hat die lateinisch-mediterane Welt immer mit sich herumgetragen; er war überall und nirgend zu Hause. Auch in Hannover, meinem Wohnort seit einigen Jahrzehnten, hatte er seine Freunde, bei denen er als gern gesehener Gast einkehrte.

Statue Italo Svevo an der Piazza Hortis, am Ende des alten jüdischen Viertels
Für die meisten ist Triest aber eher die Stadt von James Joyce und Italo Svevo, die sich seit 1905 kannten und schätzten. Sie lasen gegenseitig ihre damals noch unveröffentlichten Werke. Italo Svevo (1861-1928), der italienische Schwabe/Deutsche, der ein Jahr nach Däubler starb, ist eine der sehr typischen Trieste-Figuren des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert: aus wohlhabender österreichischer und italienischer jüdischen Familie stammend, entsagte er dem Familienbusiness und lernte erst einmal ordentlich italienisch, bevor er mit dem Schreiben begann, denn von Hause aus sprach er neben deutsch nur seinen friaulanischen Dialekt.
Rainer Maria Rilke, ein weiterewchtiger Autor, der mit der Zeit und Triest verbunden ist, schrieb seine Duineser Elegien auf dem nördlich Triests gelegenen Schloß Duino.
Es mag weit hergeholt scheinen, wenn ich allen triestiner Autoren eine gewisse Melancholie und eine großzügige Weltumarmung mit mediteraner Intensität zuspreche, aber ich fühle es so als die Luft, die mich umgibt.

Palazzo Gopcevich am Canal Grande
Ich wollte eintauchen in die Atmosphäre dieser schreibenden Menschen, aber ich fand, was ich aus einem dicken Bildband kannte: protzige Fassaden und gleichgültige Touristen. In der Touristinformation erläuterte ein behäbiger und zurückhaltend freundlicher Mann für einen eintägigen Aufenthalt das mittelalterliche Quartier nicht weit von der zentralen Piazza dell‘ Unita D’Italiana und den Weg auf den Burgberg. Vom Mittelalter habe ich mit Glück ein kleines Fenster mit Steinumrahmung gesehen, ansonsten einkaufende Touristen.

Vielleicht ein Fenster zum Mittelalter
Der Weg auf den Burgberg war bei 29°C beschwerlich, aber nur mit drei Touristen besetzt.

Weg zum, Castello und zur Kathedrale S.Giusto
Mein Trieste-Flair ist immer noch ausschließlich innerlich, und da fühlt es sich auch wohl. Ich werde mit Genuß am Ende der Reise wieder in die Erzählungen und Verse der nur noch als Namen lebenden Triestiner Dichter eintauchen.