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Zu Umbo auf verwachsenen Pfaden

Umbo 1973. Foto Hans-Jürgen Tast

 

Erinnerungen sind trügerisch. Sie transportieren neben Fakten auch Wünsche und angeeignete Kenntnisse, zuweilen sogar nur Einbildungen.

Über Erinnerungen lässt sich also meistens trefflich streiten, selten aber die Wahrheit finden.

Hans-Jürgen Tast hat seine spannende, überraschende und immer kenntnisreiche Kulleraugen Serie „Visuelle Kommunikation“ im jüngsten Heft (Nr. 53) dem Fotografen „Umbo“ gewidmet. Das liegt nicht nur nahe wegen der überbordenden Welle von „!00 Jahre Bauhaus“ Publikationen, sondern auch wegen seiner eigenen Erinnerung an seinen Foto-Lehrer Umbo. Aber auf 54 Seiten finden sich nur sehr vereinzelt tatsächliche Umbo-Erinnerungs-Fakten. Eine davon steht schon auf dem Titelblatt: „Ich habe es gesehen. Ich habe es erlebt. Ich habe es festgehalten“. Ein Ausspruch, den Umbo vermutlich leitmotivisch immer mal wieder getan hat.

Umbo ergänzt die zwei wichtigen Fakten fürs Erinnern – Sehen und Erleben – durch den sehr wichtigen Zusatz „festgehalten“. Was Umbo mit der Kamera festgehalten hat, ist für uns immer noch sichtbar, aber erleben können wir es nur gefiltert durch vergleichbares eigenes Erleben und durch Anschauung, also unsere Interpretation.

Die im handlichen A5-Format gehaltenen Hefte vermitteln meist keinen durchlaufenden Text. Die Seiten sind durch Abschnitte und Trennzeichen gegliedert und zeigen, dass man ausschnittweise lesen kann und soll; dass man Fakten- und Gedankenbrocken bekommt, die man selbst zu einem größeren Zusammenhang fügt. Die Hefte sind Materialsammlungen und Vorschläge (oder nur Hinweise) für einen roten Verständigungsfaden.

Von Umbo sind nicht viele Abzüge und nur sehr weniger Negative aus der Nach-Bauhaus Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten geblieben. Einen Œuvre-Überblick konnte man nie herstellen und darunter litt natürlich sein Renommee. Das Erhaltene aus Umbos Leben ist bislang nicht häufig und intensiv genug gezeigt worden, damit seine „Stellung“ gesichert und selbstverständlich gewesen wäre.

Hans-Jürgen Tast hat für seinen Umbo-Beitrag viel Material zusammengetragen. Hätte er daraus einen durchlaufenden Text gemacht, hätte man an den Bausteinen feststellen können, wo Umbos tragende Säulen waren. Eine Analyse von Umbos Bildsprache wäre ein wunderbares Werkzeug zum Verständnis seiner Qualität gewesen. Ich habe eine solche Analyse vermisst.

Hans-Jürgen Tast hat viele erläuternde Belegstellen zur Zeit und Umbos Umwegen gesammelt: von der Wandervogel-Bewegung etwa, einschließlich dreier Notgeldscheine der Stadt  Kahla von 1921, die einen der Protagonisten dieser Bewegung, Friedrich Lamberti-Muck, verspotten. Toll, dass Tast diese Beispiele aufgestöbert hat (in seinem Archiv?), aber er hat sie nicht in seinen „Zettelkasten“ verständlich einsortiert.

Der „Kokos-Schnitzer“ Umbo wird erwähnt (S.23), aber man erfährt nichts von diesem ernsten (?) oder nur heiteren Handwerk. Auch die durch Brief-Zitat belegte Übernachtung von Holger Fidus (wer ist das?) beim Wandervogel Lamberti-Muck ist nicht selbstreferentiell. Was soll dieser Hinweis?

Ich hätte lieber Aussagen und Gedanken zu ästhetischen Aspekten von Umbos Fotografie, respektive seinem Lehren oder Erklären gelesen. Interessiert hätte mich auch die Frage, ob für die Studierenden in Hildesheim damals Umbos Ästhetik politisch war; oder was seine Nachkriegsfotos den Nachkriegsstudierenden sagten. Haben sie die überhaupt gekannt, zu Gesicht bekommen?

Die Kathedrale von Umbos Lebenswerk ist zu einem Steinbruch geworden, so wie viele Kirchen ohne Gemeindeleben es in den vergangenen Jahrhunderten auch wurden. Wie aus den Kirchen-Steinbrüchen werden auch aus Umbos Fotowelt neue Bildwelten entstehen.