Klassische europäische Musik und aktuelle japanische Politik im Mit- und Durcheinander
Hauskonzerte sind nur wenig geeignet, politische Gedanken zu transportieren. Allerdings haben künstlerische Treffen in Privathäusern überall auf der Welt auch politische Hintergründe und Wirkungen gehabt. Japanische Dichter und Dichterinnen der Edo-Zeit haben die Verbindungen von artifiziell hoher Dichtkunst und politischen Aussagen gerne für Einflußnahmen auf die Politik genutzt. Einblicke dahinein entnehme ich der Dissertation von Renate Noda „Reisende Frauen aus der Edo-Zeit und ihre Reisetagebücher“ (Übersee Museum Bremen, Tendenzen 2012 / Jahrbuch XX).
Mich hat der Abschluss des Hauskonzertes von Seiko Kakefuda (siehe die Anmerkung 06) aufmerksam und neugierig gemacht.
Daraus ist folgende Überlegung entstanden:
Auf Japans Kalendern steht heute, 23.11.: Arbeitsgedenktag – so wenigstens würde man übersetzen, was kinro kansha no hi bedeuten sollte.
Es ist ein gesetzlicher Feiertag, aber kein von Arbeitern erstrittener Ruhetag. Es ist, so wurde mir erklärt, ein „normaler“ Tag mit Arbeit und Einkaufen. Die studierte japanische Kirchenmusikerin Seiko Kakefuda, die nach 50 Jahren in Deutschland seit zwei Jahren wieder zurück in Tokyo ist, hat den Nachmittag mit einem „Kammerkonzert“ oder „Hauskonzert“ in ihrem „Studio“ gefeiert. Die Stühl waren bis auf den letzten Sitz besetzt – es waren 20 Besucher*innen. Geboten wurde Barockmusik. (Block)Flöte, Elektroklavier und Kontrabass waren die Instrumente.
Eigentlich möchte ich aber erzählen, dass der „Arbeitsgedenktag“ eher ein Erntedank-Tag ist und wieder, wie der Ise Schrein auch, bis an die Uranfänge der japanischen Kultur zurück geht. An diesem Tag nämlich wurde der Reis geerntet und der Kaiser – als die Verbindung zur Gottheit – durfte und mußte ihn probieren und der Göttin (den Göttern?) zum Opfer darbringen. Gewisserweise ein „Tag der Götterspeise/ Götterspeisung“. Und weil der Tenno als Sohn der Sonne 1945 abgedankt hat, mußte man diesen Tag umbenennen: jetzt ist es also der Tag, an dem man der Arbeit anderer (die für einen selbst gearbeitet haben) gedenkt. So jedenfalls erklärt das das Internet. Und gemeint sind dabei nicht nur die Bauern, die den Reis anbauten.
Die Japaner öffnen sich der westlichen Weltkultur und bleiben dennoch verschlossen in ihrer eigenen Sichtweise auf die Welt.
Die „Umnutzung“ des Ernte-Dank-Tages von einem mit dem Kaiser verbundenen religiösen Ritual in einen Tag, der in der westlichen, vor allem europäischen Kultur ein Gedenktag gegen Unterdrückung und Diskriminierung ist, verknüpft Gegensätze: die kaiserliche Huldigung an die Sonnengöttin (als allmächtige Mutter) mit dem Gedenken an den erfolgreichen Widerstand gegen Unterdrückung durch Ausbeutung und Arbeit.
Das alles hat natürlich keinen Einfluß auf den Nachmittag und die Musik von Hayden und Händel gehabt. Aber das Zusammenspiel war doch höchst interessant, denn als letztes Stück auf dem Programmzettel stand das in Deutschland als Adventslied, in Japan als Festmusik für große Ereignisse gespielte „Tochter Zion freue Dich“. Ein Kirchenlied-Text auf eine Musik, die Händel in zwei Opern benutzte, die zwar das römisch besetzte Jerusalem nennt („Joshua“ und „Judas Maccabäus“), aber eigentlich einem englischen Sieg über die Stuarts huldigt.
Dieser „Unterton“ ist für das japanische staatliche Selbstverständnis ein wunderbarer Dreh: das Verbot eine eroberungsbereite und -fähige Armee halten zu dürfen, das die Amerikaner von der japanischen Verfassung verlangten und das Ministerpräsident Abe mit seiner neuen 3/4 Mehrheit gerne wieder rückgängig machen möchte, wird mit diesem Kirchenlied-Zitat (das ja ein Huldigungszitat auch bei Händel ist) unterlaufen.
Das Kirchenlied, das zur Vorfreude auf Weihnachten (auch als den Tag der Geschenke) und das kommende „Reich des Erlösers“ aufruft, kann in Japan als politisch gern genutzte „Festmusik“ für die Gedanken des Ministerpräsidenten wunderbar instrumentalisiert werden.
Mit den Inhalten der westlichen Kulturwerte kann man durchaus gegen die Politik des Westens arbeiten und dabei nicht des Verrats bezichtigt werden.
Das hat die Hauskonzert-Veranstalterin allerdings nicht mit ihrem Schluß-„Akkord“ aussagen wollen. Aber es trifft die aktuelle Situation ungemein präzise.
Mein Fazit: wir müssen mehr über unsere eigenen Kulturwerte Bescheid wissen.