Archiv der Kategorie: unterwegs

Begegnungen, Gespräche, Erlebnisse

Trier-Spaziergang – eine politische Topographie?

10. Juli 2016

Das Stadtzentrum zwischen Bahnhof und Mosel wird umfasst von der Theodor-Heuss-Alle, die in die Nord-Alle übergeht und dann einen Appendix mit dem Namen von Friedrich Ebert hat.  Dass sich hier „Benennungs-Politik“ abspielen könnte, fiel mir zuerst auf als ich bemerkte, dass von Norden nach Süden die Moselbrücken Kaiser Wilhelm, den Römern und Konrad Adenauer gewidmet sind. Eine eindeutige oder vielleicht gar „klassische“ Abfolge?

Trier fühlt sich nicht nur als älteste Stadt in Deutschland, sondern in besonderem Maße auch als Kaiser-Stadt (in Erinnerung an Kaiser Constantin und aufgefrischt mit der aktuellen Kaiser Nero Ausstellung). Diese drei Brücken schließen mit dem Martins-Ufer, dem Katharinen-Ufer, dem Johanniter-Ufer und dem Barbara-Ufer drei Heilige und einen Orden ein. Kaiser, Kirchenheilige und westdeutscher Nachkriegs-Konservatismus halten sich gegenseitig an den Händen. In der Nähe der Römerbrücke gibt es als kleine weltliche Trennung: das Kranenufer mit zwei alten Ladekränen.

historischer Ladekran am Kranenufer

historischer Ladekran am Kranenufer

Dass die Karl-Marx-Straße auf die Römerbrücke zuläuft, die Straße am Karl-Marx-Haus aber Brückenstrasse heißt, ist wohl auf die Lage des Rathauses zurück zu führen. Hätte man die Straßennamen in die eigentlich „richtigen“ Reihenfolge gesetzt, hätte das Rathaus an der Karl-Marx-Strasse gestanden. Das wäre vielleicht weder den Römern noch dem auf sie folgenden Konrad Adenauer (nach der Brückenbenennung) zuzumuten gewesen.

 

An der Römerbrücke zeigt die zweispurige Kaiserstraße / Südallee das Ende der alten Römerstadt an. Hinter den Barbarathermen (waren sie schon damals nach der Heiligen benannt?) biegt dann in Sichtweite der Konrad-Adenauer-Brücke die Hohenzollernstraße vom Ufer in Richtung Stadt. Hier stimmt das architektonische Kolorit; es sieht nach Nachkriegszeit aus.

Am St. Barbara-Ufer

Am St. Barbara-Ufer

Familienausflug auf der Mosel

Aber es geht auch, gerade an der Mosel oder auf der Mosel, sehr unpolitisch. Vereinzelt sitzen Paare am Ufer oder kleine Gruppen, die den tierischen Familienausflügen mit Freude zusehen.

Im Trierer Süden findet man kleine, kurze Straßen mit schmuck renovierten Mehrfamilienhäusern in Vorstadtgrößen. Die Fassaden der wilhelminischen Zeit verströmen eine unerwartete Heimeligkeit, wenn man sich des touristischen Gewimmels vom Markt und den umliegenden Kirchen noch gewärtig ist.

Farbige Nachbarschaft

Farbige Nachbarschaft

An der Haustür hinter dem Baum steht „Urban Place“. Der Vorplatz ist einladend, als wenn die Tür der Eingang zur städtischen Gemeinsamkeit ist.

Parkscheibe für Verliebte?

Parkscheibe für Verliebte?

Wenige Schritte weiter lacht hinter einer Autoscheibe ein Herz wie eine verschmitzte Parkscheibe.

Kommt man dann wieder in den historischen Stadtbereich und fühlt alte Straßen unter den Füßen, vermischt sich wieder Exotisches mit verflossen Eigenem, wenn das Taj Mahal zum Lokal im Gewand des Jugendstils mutiert.

Taj Mahal im Jugendstil-Gewand

 

 

 

Zeigt ein solcher Spaziergang etwas vom Geist oder Gemüt der Stadt? Oder ist es meine Fantasie und Assoziationskraft, die mich vom Boden der Tatsachen abheben läßt und in Sphären der Illusionen katapultiert?

Straßennamen entstehen aus politischen Prozessen. Ob ihre Standorte auch etwas über Zuordnungen sagen, sei dahin gestellt. Architektur und Fassadenschmuck sind ebenfalls Prozesse, die von Politik und gesellschaftlichem Empfinden beeinflußt werden. Daraus zumindest läßt sich spielerisch Offenheit und Flexibilität der Zeit erahnen.

Deshalb zum Abschluß ein bildhaften Türsturz, der sowohl als Uroboros (Schlange, die sich in den Schwanz beißt und als autarkes Wesen gedeutet wurde) als auch wie ein Hände-Herz á la Angela Merkel gelesen und verstanden werden kann.. „Wir schaffen das“ – auch in einer Stadt, die ich nicht als einheitlich oder geschlossen erlebt habe.

2 Schlangen Uroboros+AngelaMerkel imitierend

 

 

 

Neros Leben – ein bunter verschlissener Teppich

...und Nero zündelt weiterhin

…und Nero zündelt weiterhin

9. Juli 2016 – Besuch der Ausstellung „Nero – Kaiser, Künstler, Tyrann“ in Trier

Das Bild ist aus dem Gedächtnis nicht zu tilgen: Rom brennt und Nero singt. Es ist zu schön, um es nicht immer wieder durch Film, Foto oder Geschichten aufzurufen. Aber mit der Wirklichkeit (oder auch nur der Wahrscheinlichkeit) hat es nicht viel zu tun. Doch sogar am Ende des Nero Ausstellungsrundgangs im Rheinischen Landesmuseum zündelt Nero im Museums-Shop lustvoll weiter.

Vieles an Neros Leben erscheint spektakulär: der erzwungene Tod der Mutter (geboren im germanischen Oppidum ubiorum, dem heutigen Köln), der Tod zweier seiner Ehefrauen, der Brand in Rom und die (amateurhafte, schauerliche?) Lust zu Versen, Gesängen, Wettkämpfen. Fast alles ist zwar in historischen Texten zu finden, aber dennoch nicht bewiesen.

Wie stellt man ein solches Leben in einer Ausstellung oder gar in einem Museum dar? Trier hat den Versuch auf drei Institutionen und Ausstellungsorte verteilt. Das Rheinische Landesmuseum versucht die kurze, nur 14jährige Regierungszeit des Kaisers als eine Art Roman-Compress darzustellen – und das sehr erfolgreich.

Ich weiß nicht, wie ich mich als Schüler in dieser Ausstellung gefühlt hätte (mit mir waren vor allem Schüler die Besucher), aber mir haben viele kleine Hinweise Lust auf mehr Wissen gemacht.

Nero als Sieger-Figur auf einem Helm-Kinnschutz

Nero als Sieger-Figur auf einem Helm-Kinnschutz

Kaiser waren im Römischen Reich als Bild allgegenwärtig; gesehen haben Nero vermutlich nur sehr wenige Leute. Der Kaiser hielt das riesige Reich zusammen; daran wurde sein Erfolg gemessen.

Nero war ein beim Volk beliebter Kaiser, dennoch sind  eher wenig offizielle Inschriften und Statuen überliefert. Der Grund dafür liegt in seinem tragisch-traurigen Ende: er wurde 68 n.Chr. in Rom nach Aufständen römischer Truppen in Gallien zum Staatsfeind erklärt. Damit war er vogelfrei, konnte von jedem getötet werden und ließ sich von einem Getreuen erstechen.

Nero, der Kaiser, verfiel der damnatio memoria, der Auslöschung des öffentlichen Andenkens. Sein Name wurde aus Inschriften geschlagen, seine Statuen gestürzt und zerstört. Die meisten schriftlichen Überlieferungen sind parteiisch formuliert. Neros „Bild“ wurde von ihm selbst, seinen Zeitgenossen und den Nachgeborenen manipuliert.

Neros Selbstdarstellung läßt sich in einer Ausstellung durchaus darstellen, aber wie läßt sich darstellen, was er angeblich getan hat (vor allem die angebliche Brandstiftung)? Die Ausstellung versucht (im Grunde recht behutsam) das öffentliche Bild Neros zu präsentieren, vor allem in kleinen, fast beiläufigen Zeugnissen.

Spiel- und Eintrittsmarken für den Circus, die oft den Namen des Kaisers als Spenders trugen

Spiel- und Eintrittsmarken für den Circus, die oft den Namen des Kaisers als Spenders trugen

Dazu gehören Eintrittsmarken für Circus-Veranstaltungen, denen Neros Interesse und Zuneigung galt.

Nero präsentierte sich dem Volk als Wagenlenker, Sänger, Schauspieler und Musiker. Beifall vom Volk wollte er möglichst persönlich entgegen nehmen. Bei einer 16 monatigen Reise durch Griechenland kam er mit 1808 Siegerkränzen zurück nach Rom – und diese Rückreise trat er widerwillig an.

 

Grabstele mir SiegerkränzenWie ein ironischer Kommentar dazu sieht man in der Ausstellung den mit acht Siegerkränzen versehenen Grabstein eines unbekannten Sportlers oder Künstlers.

Nero konnte sich, so hat er wohl selbst mal geäußert, ein nicht kaiserliches Leben als Künstler vorstellen – aber als Kaiser wurde ihm der Siegerkranz natürlich nicht streitig gemacht.

Beim Brand von Rom war Nero übrigens nicht in der Stadt, sondern auf einem Landgut; er ordnete sofort an, dass seine Gärten für die Obdachlosen geöffnet wurden und sie zu essen bekamen. Der Beifall des Volkes war ihm wichtig. Daneben hat er sich so verhalten, wie das  Kaiser und Adelige vor ihm auch getan hatten: Luxus, Völlerei, Morde und Intrigen waren ein Tagesgeschäft.

Römischer Hausaltar mit Kaiserbild

Römischer Hausaltar mit Kaiserbild

Für ein gutes Leben und unterhaltsame Spiele in Rom war der Kaiser zuständig, das war die Erwartung, und auf dem Wohlwollen von Senatoren und Soldaten ruhte ihre Macht. Nero wollte sich daneben aber vor allem als Künstler etablieren und stieß damit auf das Missfallen der Senatoren. Solange er beim Volk beliebt war, sicherte es ihm die Macht. Nicht mal beim Brand von Rom gab es einen Umschwung.

Gladiator als Öl-Lampe

Gladiator als Öl-Lampe

Die Spiele und das hohe Ansehen der Gladiatoren hielten sein Ansehen hoch. Der „Talisman“-Charakter bekannter Gladiatoren ließ sich an Öl-Lampen ablesen, die mit sexueller Kraft protzten. Es war ein Teil der Fan-Kultur des ersten christlichen Jahrhunderts.

Die Ausstellung ist ein anregendes Puzzle-Spiel, das den Betrachter in kleinen Schritten in das Leben vor 2000 Jahren zieht. Wer dann auf den informativen Erläuterungstafeln noch auf die Fundorte der Objekte schaut, nimmt mit einiger Verwunderung wahr, dass die Nero-Verehrung auch in Gallien und Germanien weit verbreitet war. Rom war das Zentrum, aber der Kaiser war überall präsent.

Die Ausstellung sagt nicht, wie Nero wirklich war; sie führt  unterhaltsam vor, in welchem Zwiespalt zwischen Fakten und Legenden sein Leben und Handeln auf uns gekommen ist.

 

 

Jahrtausende alte Wege von Syrien nach Deutschland

in Apulien, 28.09.2015

An diesem Wochenende gedenkt Italien (und nicht nur Italien) zweier syrischer Flüchtlinge; sie nahmen vor nahezu 2.000 Jahren die gleiche Route wie die Syrienflüchtlinge unserer Tage. Und leider erlitten sie auch ein ähnliches Schicksal wie manche der verzweifelten und dennoch couragierten Flüchtlinge dieses Jahres.
Es geht um die beiden Ärzte Cosma und Damiano. Ich würde sie gerne als Vorreiter von „Ärzte ohne Grenzen“ bezeichnen. Sie arbeiteten, also heilten, ohne Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis. Nach den nur spär- lichen Überlieferungen wurde ihnen genau das zum Verhängnis. Sie gaben als „Wirkstoff“ einzig ihren Glauben an, was dann manchen hochgestellten Klienten mit ihren Göttern Ärger einbrachte.
Die Zwillingsbrüder Cosma und Damiano kamen von Kyrrhos, das es heute nur noch als ausgegrabenes Ruinenstadt gibt, über Aleppo, Jerusalem, Konstantinopel auf den Balkan. Irgendwo da versuchte man sie auf verschiedene Arten zu Tode zu bringen. Das soll um 303 n.Chr. gewesen sein. Erst durch das, heute wieder eingeführte, Enthaupten konnten ihre Widersacher sie schließlich töten. Dadurch wurden sie zu Märtyrern – was uns alles heute irgendwie zeitgenössisch erscheint.
Die katholische Kirche hat die beiden Ärzte in ihren Heiligenkanon aufgenommen, obwohl es keine eigentliche Heiligsprechung gab.

die hl. Brüder Cosma und Damiano trifft man überall im Salento in den Kirchen

Nach Rom kamen immerhin ihre Gebeine, vor allem ihre Köpfe. Die wanderten dann 965 n.Chr. weiter gen Norden nach Bremen, obwohl auch der Domschatz von Würzburg zwei Köpfe von Cosma und Damian sein eigen nannte.
Aus dem Bremer Dom sind die Köpfe, die in der Chormauer des Bremer Doms „wunderbarer Weise“ 1334 wieder entdeckt wurden, sehr viel später ohne Aufsehen und genetische Untersuchungen entfernt und beerdigt worden. Damals gab es schon keinen Bremer Erzbischof mehr, sondern ein lutherisches Domkapitel.

Nicht immer stehen die Brüder im hellen Licht, aber sie sind in sehr vielen Kirchen gern gesehene Gäste

Nicht immer stehen die Brüder im hellen Licht, aber sie sind in sehr vielen Kirchen gern gesehene Gäste

Auch der Fluchtweg in den Norden, nach Deutschland, war von den beiden hochgeschätzen Heiligen lange vorgezeichnet. Warum haben nicht kenntnisreiche Würdenträger der Kirche uns rechtzeitig auf diese Umstände hingewiesen, zumal in jedem Jahr zwischen dem 25. und 28. September der Heiligen gedacht wird – und allein in Niedersachsen gibt es mit Ganderkesee, Goslar, Göttingen (Herbertshausen), Stade und Wunstorf ausreichend Verehrungsstätten, der beiden Mediziner, die in ihrer kurzen Lebenszeit (sie wurden entweder um 20 oder um 40 Jahre alt) sogar schon eine erfolgreiche Bein-Transplantation vorgenommen haben sollen.

Cosma und Damiano in Gallipoli

Cosma und Damiano in Gallipoli

Zwischen zwei mediterranen Meeren

In Apulien 2 – Lecce, 23.09.2015

Titel fürWatzlawiks Anleitung zum erfolgreichen Unglücklichsein

Titel fürWatzlawiks Anleitung zum erfolgreichen Unglücklichsein

Nach Salerno, Taranto, Brindisi, Gallipoli und Otranto, fünf Hafenstädten, erscheint Lecce in der Mitte der beiden apulischen Küstenstreifen beim ersten ausführlichen Spaziergang wie eine typische Stadt-Stadt: Straßen und Plätze haben ein angenehmes, selbstverständliches Verhältnis zueinander. Man wechselt von boulevard-ähnlichen Straßen zu Alltags-Straßen und dann wieder zu kleinen, manchmal nur wenig mehr als schulterbreiten Gassen. Es sind nur wenige Schritte, bevor sich Ecken erweitern oder kleine Plätze bilden, als ob nicht jeden Quadratmeter Stadt auch gleich Bebauung sein sollte.

Ist dies das aktuelle Mann-Frau Bild in Italien - und abgeschaut von den Mythen der Griechen?

Ist dies das aktuelle Mann-Frau Bild in Italien – und abgeschaut von den Mythen der Griechen?

 

Gleich nach dem ersten Kirchenbesuch, der hl.Irene gewidmet, die im Norden kaum im europäischen Gesamtkonzert der Heiligen auftritt, zieht eine Buchhandlung mich an; es sind vor allem die Cover der Bücher, die mich ins Innere ziehen. Ein weitläufiges Gewölbe ist auf geschickte Weise mit den attraktiven Blickfängen bestückt. Italien hat ein sehr eigenständiges Bildgefüge, mit dem es seine Menschen für Geschichten interessiert.

Auch Goethes ausgewählte Schriften werden im Süden romantisch

Auch Goethes ausgewählte Schriften werden im Süden romantisch

Lecce, Provinzhauptstadt (93.000 Einwohner), ist, soweit die Wege einen Erstbesucher führen, vor allem Touristenstadt. Im Umkreis, den man abschreitet, gibt es nur noch Verwaltungsinstitutionen, Banken, Cafés, Restaurants, Hotels und B & B Unterkünfte.Letztere sind oft kleine oder sogar sehr kleine Wohnungen im historischen Baubestand. Mit ein wenig Glück, hört man zur Siesta-Zeit und nach dem Einbrechen der Dunkelheit die Stimmen der noch verbliebenen Lecceser (telefonierend, streitend, ermahnend). Für eine Selbstverpflegung muss man das centro storico verlassen; aber nicht jeder Weg führt in einen Alimentari oder Supermarkt.
Lecce ist so selbstverständlich in seiner unaufdringlichen Schönheit, dass man schnell sicher ist: hierher kommt man nochmals zurück.

Zwei Busladungen Touristen sich gegenseitig in Lecce begegnend (frei nach Paul Klee)

Zwei Busladungen Touristen sich gegenseitig in Lecce begegnend (frei nach Paul Klee)

Einzelreisende fliehen vor den Touristen, die noch im September gern busladungsweise auf den Kirchenstraßen vorwärts oder gegeneinander getrieben werden, in die schmalen Gassen und finden dort kleine Werkstätten, in denen das alte Handwerk der Papiermaché-Figuren (cartapesta) gepflegt wird (und auch erlernt werden kann). Zu mehr als einem kurzen Blick durch eine der Türen habe ich es nicht gebracht – die Figuren erschienen mir zu wenig attraktiv. Das verwundert nicht, denn die Cartapesta-Kunst ist die Kunst, mit billigem Material die Heiligenfiguren aus den Kirchen zu imitieren.

Cartapesta-Figur vor einem Laden

Cartapesta-Figur vor einem Laden

Angebote zwischen Liebhaberei, Kunst und Kitsch - zu recht gehobenen preisen

Angebote zwischen Liebhaberei, Kunst und Kitsch – zu recht gehobenen preisen

Lecce ist keine arme Stadt, man sieht gut gekleidete Menschen und attraktiv gestaltete Schaufenster; aber bis in die Wohnviertel und die alltägliche Lebensumgebung der Einwohner findet man als Gast kaum den Weg. Man lebt ein wenig und im ganzen sehr angenehm mit der Kulisse des Historischen. Die ein wenig zu verstehen, ist schon Aufwand, aber ein gewinnbringender.

 

Naoshima – der Ort vor der Kunst

24.03.

Naoshime ist ein Synonym für den international gefeierten nachhaltigen Umgang von Kunst mit Natur und Architektur. Von/vom Menschen ist dabei nicht die Rede, in keinhem der Texte, die ich gelesen habe, wurde er dabei erwähnt. Aber er soll lernen, wie man verantwortlich mit den Produkten unseres Geistes umgehen kann.

Ich bin heute aus Osaka angereist, um Zwischenstation bei der Kunst bin der Landschaft zu machen, bevor ich nach Hiroshima fahre und mich dort mit der Kunst der Zerstörung konfrontiere.

Die Anfahrt mit Shinkansen und Regional Rapid war schnell und dennoch behaglich. In Takamatsu hatte ich zwischen Ankunft und Abfahrt der Fähre fast zwei Stunden Zeit. Ich verbrachte sie im Gartenpark der ehemaligen Burg. Ein in seiner Stille wunderbar angelegter „trockener“ Garten, dessen Kieselbachbetten tat- sächlich stimmig und richtig sind. Bewegend für mich war dabei die Anwesenheit einiger Gärtner, die in den Bäumen hockten oder auf hohen Leitern standen und die Bäume trimmten. Der winter- liche Nadelwuchs wurde wieder in Kunst zurück verwandelt.

Es war wie der längst fällige Besuch beim Friseur. Die Konzen- tration der „Beschneider“ wurde für mich zu einem Stück der Park-Meditation.

Die anschließend fast einstündige Überfahrt zur Insel Shikoku (hoffentlich ist das jetzt namentlich richtig) war ein weiterer Schritt zur Entschleunigung. Den näshsten machte sich selbst, in dem ich mich nicht gleich auf die Kunst-Tour begab, sondern erst einmal wissen wollte, wo ich bin. Denn vom Ort Naoshima liest man, wenn es um das Art Projekt geht, nichts. Und er präsentiert sich auch nicht als etwas Besonderes, er ist nicht das Cover Girl für die Naoshima Art.

Ich habe den Ort, von dem ich wirklich nichts weiß, als ein  beständiges Wechseln zwischen gestern und heute erlebt, mit verfallenden alten Häusern, schrecklich scheußlichen Zweck- und Zufallsbauten, herrlich absurden Anpassungen an Notwendigkeit, Nützlichkeit und blinden Zufall.

Begründungen habe ich für meine Schubladisierungen eigentlich nicht, nur die Empfindungen, dass es so sein könnte.

Einen Nachmittag lang bin ich durch den Ort gegangen und habe fotografiert; ich habe während der Zeit keinen der Toursiten gesehen, die den Ort, wenn es denn wärmer wird, nicht nur be- völkern, sondern wahrscheinlich auch übervölkern. Aber Alte und Kinder habe ich gesehen und mit leichten Verbeugungen haben wir einander begrüßt.

Ich lege hier eine kleine Auswahl – eigentlich schon viel zu umfangreich, vor, mit kurzen Kommentaren, die mir bei der Aufnahme oder erst beim Betrachten einfielen:

Die Fähre trägt en Namen hin und her

Die Fähre trägt en Namen hin und her

Vom öffentlichen Bad in Naoshima liest man überall, es wird auf allen empfohlen. Außen ist es ein Hippie-Tempel, drinnen irgendwie recht eng.

Vom öffentlichen Bad in Naoshima liest man überall, es wird auf allen empfohlen. Außen ist es ein Hippie-Tempel, drinnen irgendwie recht eng.

Blicke in Gärten eröffnen sich immer wieder

Blicke in Gärten eröffnen sich immer wieder

Die Schokoladenseite - dien "Strandallee", erinnert mich irgendwie an Wildwest-Städtchen

Die Schokoladenseite – dien „Strandallee“, erinnert mich irgendwie an Wildwest-Städtchen

Siehst aus wie ein verlassenes Mobilhome, ist auch tatsächlich verlassen, aber nicht mobil

Siehst aus wie ein verlassenes Mobilhome, ist auch tatsächlich verlassen, aber nicht mobil

Auch das ist nur noch eine schöne Fassade

Auch das ist nur noch eine schöne Fassade

Struktur der alten Häuser

Der Blick hinter die klassische Fassade

Der Blick hinter die klassische Fassade

Ein Hof wie ein Stilleben

Ein Hof wie ein Stilleben

Dachfreundschaften

Dachfreundschaften

Blick auf einen guten Erwerbszweig - rent a bike

Blick auf einen guten Erwerbszweig – rent a bike

Die traditionelle "Industrie"

Die traditionelle „Industrie“

Immer noch attraktiv - der Spielplatz und die Gruppe

Immer noch attraktiv – der Spielplatz und die Gruppe

Das war mal Fortschritt (bei uns) - heute immer noch?

Das war mal Fortschritt (bei uns) – heute immer noch?

Der Friedhof liegt direkt hinter den Hallen mit den Fischernetzen - das für mich berührendste Grab.

Der Friedhof liegt direkt hinter den Hallen mit den Fischernetzen – das für mich berührendste Grab.

Idyllisch-fröhliches Schlußstück

Idyllisch-fröhliches Schlußstück

Freundlichkeiten

Ein Text ohne Bilder, aber mit viel Empfindung und Fortsetzung an jedem neuen Tag

14.03.
Zehn Tage bin ich nun in Japan. Ich kann mich relativ gut alleine bewegen und brauche nicht die Sicherheit der touristischen Trampelpfade. Aber natürlich treffe ich immer wieder auf sie. Beim gestrigen Besuch in Nara war das der Fall. Hier tauchten europäische Gesichter allerorten auf, die mir im sonstigen Alltag auf meinen Wegen kaum begegnen. Dennoch war ich überrascht, als mich ein Mann auf dem Weg zu einem der vielen Tempel und Schreine in Nara auf der Straße ansprach und fragte, woher ich käme, ob ich Japan möge und wie gut es mir gefiele. Nach dieser kurzen Frageeinleitung begann er übers Wetter zu sprechen, das noch ein wenig kühl sei (obwohl ich den wärmsten Tag in Japan erlebte) und die eigentliche Saison mit der Kirschblüte erst beginne. Ohne Hast und Zeitdruck hatte der Mann das Gespräch mit mir begonnen und nach einer angemessenen Zeit schlossen wir es mit einigen Verbeugungen.
Es schien meinem Gesprächspartner eine Selbstverständlichkeit zu sein, mir mit dem kurzen Gespräch ein gutes Gefühl für den Tag zu vermitteln. Auf dem Rückweg nach Osaka nahm ich zwar einen Rapid Train, aber in diesem Zug wurden die Stationen nicht Englisch angesagt. Ich versuchte, auf meinem Osaka Stadtplan die Haltpunkte zu eruieren, denn wo ich ankommen würde, war nicht ganz sicher. Auf dem Hinweg hatte ich ein Gefühl für die Zeit und die Abfolge der Bahnhöfe entwickelt, aber es blieb eine gewisse Unsicherheit. Als ich das Gefühl hatte, es müsse jetzt bald die Station Osaka-Tennoji kommen, stand ich auf. Irgendwie schien meine Unsicherheit sichtbar zu sein. Ein Mann in Business-Anzug blickte mich an, ich fragte ihn mit dem einfachen Wort Tennoji und er nickte. Ich ging die nächste Treppe in Richtung Ausgang hoch, fand mich dann aber in unbekanntem Gelände. Wieder trat ein Mann zu mir und fragte, wohin ich wollte. Er wies mir den Weg zurück in die Richtung auf die U-Bahn.
Vor einigen Tagen studierte ich in Kobe intensiv eine kleine Umgebungskarte im Aussenbereich des Bahnhofs auf der Suche nach dem Museum für zeitgenössische Kunst. Auf meinem (recht groben) Stadtplan war es verzeichnet, auf dem japanisch beschriebenen Aushang aber nicht. Eine junge Frau, die irgendetwas lautstark den Passanten anbot, stand plötzlich neben mir und fragte mit wenigen englischen Wörtern, wohin ich wollte. Nach meinem Stadtplan konnte sie mir sagen, dass ich zu früh aus dem Zug ausgestiegen war. Am richtigen Bahnhof mußte ich zwar einen Taxifahrer nach dem Museum fragen, der mir auch den Weg wies, aber das Museum konnte ich nicht sehen. Ich hatte aber Zeit, wollte nicht unverrichteter Dinge wieder zurück kehren und ging einfach ein Stück die Museums-Straße, die ich vor Augen hatte, entlang. Museum und Museumsstraße könnten ja zusammen gehören. Es traf zu. Nach etwa 200 m fand ich links neben mir das Museum. Nicht aufgeben, ein wichtiges Kriterium beim Reisen.

21.03.
Gestern kam ich von Kyoto zurück und hatte die Loop Line für den Weg in mein Quartier gewählt. Vom Bahnhof aus wollte ich aber nicht den gleichen Weg wie morgens zurück nehmen, sondern parallel dazu durch einige schmalere Straßen gehen. Das Schachbrettmuster der Straßenanlage erleichtert solche Vorhaben, aber am besten gepaart mit ein paar erkennbaren (oder erkannten) Ecken.
Ich ging auch eine Straße, die ich schon vorher in entgegen- gesetzer Richtung gegangen war, erkannte eine Kreuzung und einen Spielplatz wieder. Dann sah ich vor mir den Eingang zu einer Marktstrasse. Da war ich richtig, war ich mir sicher. Als ich näher kam, sah ich einen Straßennamen, der mir zwar bekannt vorkam, aber einordnen konnte ich ihn nicht. Ich zögert und schaute auf meinen Plan. Der konnte mir zwar nicht wirklich helfen, aber ich hoffte (vergeblich) den Namen der Straße zu finden. Da sprach mich aus einer Entfernung von etwa fünf Metern eine junge Frau an. „Are you lost?“ fragte sie zweimal. Ich sagte zwar „No, I’m not lost“, fühlte mich aber augenblicklich so. Als ich die Stimme der Frau hörte, ging ich instinktive einen Schritt in ihre Richtung – und sie ging ebenso instinktiv einen Schritt zurück. Ich bewegte mich sofort nicht weiter, denn mir war klar geworden, dass sie aus einem „Sicherheitsabstand“ heraus mich angesprochen hatte, und den mußte ich einhalten. Ich ging weiter auf die Marktstrasse zu und machte mir klar, dass ich diesen Eingang natürlich nicht hatte sehen können. Ich kam ja von der andren Seite. Ein Schritt in die Marktstraße und ich sah all die vertrauten Fassaden.
An dieser Situation wurde mir wieder klar, wie genau und aufmerksam Japaner andere Menschen (vermutlich nicht nur Ausländer, die man nur gelegentlich in den Wohnvierteln trifft) beobachten und dabei auch helfend eingreifen.
Zuvor hatte ich mich im Museum in Kyoto auf eine Bank gesetzt, eine andere Brille aus meinem Rucksack geholt. Mein Notizbuch hatte ich neben mich gelegt und den Rucksack darauf gestellt.
Als ich aufstand, schulterte ich den Rucksack und ging vor die Wandschirm, den ich mir ansehen wollte. Da trat die in jedem Raum anwesende „Kuratorin“ ( im italienischen Sinn) an mich heran und hielt mir mein Notizbuch entgegen. Sie hatte gesehen, was ich noch nicht bemerkt hatte.

Nahezu jeden Tag gibt es diesen kleinen Szenen und immer sind sie freundlich und hilfreich und geben mir das Gefühl, dass ich in Japan wirllich nicht verloren gehen kann.

Der vorgezogene letzte Tag

22.03.

Ich habe mir heute das Programm meines letzten Tages in Japan unverhofft schon erfüllt. Heute morgen um 9.00 Uhr bin ich an der Osaka station in den Zug zum Shinkansen Bahnhof und danach in den Shinkansen nach Tokyo gestiegen. Ich habe das Netbook vor mich hingestellt und einige Textfragmente aus dem Notizbuch der letzten Tage in den PC übertragen. Bis Nagoya wollte ich nicht aus dem Fenster sehen, denn diese Strecke kannte ich schon. Die Sonne war heller und die Luft wärmer, als der heute Morgen noch- mals abgerufene Wetterbericht sagte.

ein Dorf

ein Dorf

7_Wartende

geduldig Wartende

4_Blick in Kleinstädte

Die Nahansicht einer Kleinstadt

5_alte Brücken

Idylle mit alter Brückentechnik

 

 

 

 

 

2_privates Land

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
Jetzt ist es kurz nach 14.00 Uhr und ich sitze schon wieder im Zug, nun von Tokyo nach Osaka. Zwischen Ankunft und Abfahrt von Tokyo liegt nur ein Kaffee mit Gebäck bei einer der in Japan so beliebten Cafe-Ketten, die alle importiert zu sein scheinen. Heute hieß sie „Andersen“. Aber sie haben alle nur einen irgendwie europäisch klingenden Namen. Im Verhältnis zu den Kaffes, die ich in den vergangenen drei Wochen in Japan getrunken habe, schmeckte er wie zu Hause, d.h. zungenver- brühend heiß und ohne Charakter. Dafür kostete er etwa 100 Yen weniger als in den handmade Cafés (der blog ist noch nicht eingestellt). Jetzt weiß ich, dass ich diese Differenz nicht akzep- tieren werde. Ich will wieder den eigens für mich aufgebrühten für 100 Yen mehr.

Hauptbahnhof Tokyo, südlicher Ausgang

Hauptbahnhof Tokyo, südlicher Ausgang

Also dieser kurze Aufenthalt auf dem Hauptbahnhof in der Hauptstadt liegt zwischen Hin- und Rückfahrt.
In Tokyo wollte ich mir eine Ausstellung mit dem vielver- sprechenden Titel „Food Design“ von der jungen Kuratorin Ayako Suwa im Museum of Curiosity ansehen. Ich hatte gestern Abend im Internet recherchiert, nach- dem ich einen A4 Handzettel in Tajimi’s Ceramic Museum fand. Das Museum of Curiosity ist ein Teil der Universität Tokoy. Angegeben war, dass man einen JR train zur Kanazawa Station nehmen soll und anschließend einen Bus.
Ich stieg in Tokyo aus und erkundigte mich beim Verlassen des Shinkansen Bahnhofsteils beiläufig nach der Verbindung zur Kanazawa Station. Man verwies mich auf die Shinkansen Line. Aha, dachte ich, eine Station zu früh ausgestiegen und trank erst einmal meinen nicht so überzeugenden Kaffee.
Dann ging ich wieder zum zentralen Eingang der Shinkansen Linien, fragte nach einem Zug zur Kanazawa Line, sprintete auf den Bahnsteig, sah die noch offenen Türen, vergewisserte mich noch des Schriftzuges Kanazawa und war schon drin. Kanazawa wurde auch brav angesagt, ich war zufrieden, aber irgendwie doch irritiert, dass es bis Kanazawa so viele Zwischenstationen geben sollte. Ich hatte mit einer oder zwei gerechnet.
Neben mir am Fenster einer Dreiersitzreihe sass ein business-like gekleideter Herr und beschäftigte sich mit seinem Mittagessen, Reis mit see food und gelblichem Kaviar. Nach der ersten Station Ueno und einer erneuten Aufzählung all der Stationen dorthin sprach ich meinen Sitznachbarn an . Ich vergewisserte mich, dass es tatsächlich der Zug nach Kanzawa war, fragte aber noch, ob es eine Station gleichen Namens in Tokyo geben würde. „Kanazawa ist etwa drei Zugstunden entfernt“, hörte ich. Jetzt war ich ein wenig konsterniert; ich wollte ja nach Tokyo und um für die große, für mich unübersichtliche Stadt eine Struktur zu haben, war der Ausstellungsbesuch meine Anlaufadressen. Kanazawa außerhalb von Tokyo war nicht Teil meines Tagesplans. Mein Sitznachbar aß sein Mittagessen, schneller als vorgesehen, zu Ende, holte seinen PC aus der Tasche und rief das von mir angegebene Museum auf. Es war die Seite, die ich auch gesehen hatte. Eine gewisse Ratlosig- keit macht sich auch bei meinem Nachbarn breit. Er meinte, dieses Museum scheine zur Universität Tokyo zu gehören, aber es wäre sicher in Kanazawa. „Und wo ist Kanazawa?“, fragte ich, denn mein Nachbar wollte dorthin. Er rief eine Karte auf und zeigte mir, dass die Stadt genau an der anderen Küstenseite der Insel (westliche nämlich) liegt.
Dann konnte ich von dortaus ja auch wieder zurück nach Osaka fahren, aber die Ausstellung konnte ich zeitlich ganz sicher nicht mehr sehen. Der Nachbar, der derzeit in Osaka lebt, hielt das nicht für eine sinnvolle Idee; irgendwie schien das Schwierigkeiten zu bereiten.
“Ich fahre zurück nach Osaka und werde den Museumsbesuch am kommenden Sonntag machen“, beschloß ich, es auch gleich aussprechend. Mein Nachbar suchte mir per Internet gleich die entsprechende Zugverbindung heraus: mit dem Zug namens „Thunderbird“ werden ich von Osaka 8.10 Uhr losfahren und bin um 10.49 Uhr dann tatsächlich in Kanazawa.
Jetzt ist es 14.45 Uhr und ich sitze im Shinkansen zurück nach Osaka. Er fährt übrigens mit einer leicht veränderte Stationenfolge zu meinem Ziel. Bei der dichten Zugfolge der Shinkansen ist das eine sinnvolle Möglichkeit, viele unterschiedliche destinationen zu erreichen.

plötzlich gibt es ein Mosaik in der Landschaft

plötzlich gibt es ein Mosaik in der Landschaft

Warum ist das aber nun die Reise des letzten Aufenthaltstages, die mir vorschwebte? Auf dem Rückweg von Tajimi hatte ich den Eindruck, der Tag war an genehm, weil die Stunden im Zug, insgesamt sechs, eine große Entspannung für mich waren. Dafür wollte ich mir einen ganzen Tag nehmen, mit angenehmen Sitzen, ausreichender Wärme, Bordverpflegung, wenn mir danach ist, der Möglichkeit die Landschaft im Eilverfahren zu erkunden und dabei zu dösen oder zu lesen. Und ein wenig auch das schon zu Hause bezahlte nicht ganz billige Dreiwochenpauschalticket ein wenig zu strapazieren. Davon habe ich ja heute schon ein wenig genossen.
Seit ich das Gefühl habe, so sollte mein letzter Japan-Tag aussehen, interessiert mich wieder, was vor den Fenstern ist. Ich schaue hinaus.
Der Himmel bedeckt sich, über mir hängen schwere grau-weisse Regenwolken. Die nach Raffinerie aussehenden Industriekomplexe neben den Bahngleisen steuern ihren weißen Rauch noch zum grauen Gemälde bei. Sie erwecken den Eindruck eines späten Bildes aus dem Impressionismus mit Abendstimmung und Zukunftsindustrie.
Kleine viereckige Gemüseanbauflächen sind zum Greifen nahe, werden jetzt vom Schwarz eines Tunnel weggewischt und sind, gewissermaßen abgeerntet, am Ende des Tunnels wieder da. Da ist dann nur noch Grün, noch nicht als Gemüse erkennbare Farbe. Ein starker Regen trommelt aufs das Dach, und wieder ein Tunnel, und Trockenheit beim erneuten Austritt. Stimmungsvolles Abendlicht leuchtet vom Westen. Ein ummauerter Friedhof tritt nahe an die Gleise, die Berge treten vornehm zurück.
Die Frau mit dem Servicewagen kommt wieder vorbei, ich schaue auf und beobachte sie, wie sie bei jedem Drehen ihres Kopfes das freundliche Lächeln wieder auf blühen läßt.
Der Zug hält in Shizuoka, einer neuen Station auf meiner Liste der Ortsnamen.
Mit dem Lesen komme ich heute dann doch nicht so weit, wie ich mir das für den letzten Tag vorgestellt hatte. Aber die Anregungen aus dem Briefwechsel von Max Frisch und Uwe Johnson sind ja schon weitgehend gespeichert und deren Auseinandersetzung mit dem Autobiographischen in Romanen ist ja kein Tagesthema. Ein Reisethema ist es allerdings für mich schon, denn Reisen ist ja auch immer eine Entfernung vom Heimatlichen, Alltäglichen und dem geselligen und kommunikativen Ich.
Der Himmel hat aufgeklart, eine mit gotischen Spitzen übersäte Kirche steht in Sichtweite in der Stadt, gut positioniert in einem Ring sie umgebender Hochhäuser.
Die Berge sind längst zurückgetreten, Japan kann wieder als Wasserlandschaft gesehen werden und die Freizeitsportler nehmen die Überschwemmungsfläche an dem nur wenig gefüllten Fluss wieder für ihr Baseball-Spiel in Anspruch. Es folgen doch wieder leichte Hügel und ein Tee-Anbaugebiet, das mir schon bei der Hinfahrt aufgefallen ist.
Es ist immer wieder verwunderlich wie dicht und einträglich Wohnbereiche und technische Industrieanlagen beieinander stehen. Es ist zuerst eine ästhetische Irritation, erst beim Nachdenken darüber wird es auch eine gesundheitliche. Neben einem Shiseido Produktionsgebäude steht eine zeitgemäß-moderne „saubere“ Architektur. In Japan ist das wohl ein wichtiger Imagefaktor, den überaus „grünen“ Slogans in der Werbung vergleichbar.
Der Nachmittag wird wieder heller. Es ist 15.35 Uhr. Mein Hiukari superexpress Nr. 475 ist in Hamamatsu.
Noch zwei Stationen bis Osaka: Nagoya und Kyoto. Noch etwas mehr als eineinhalb Stunden Fahrtzeit. Um 17.15 Uhr bin ich wieder in Osaka am Hauptbahnhof. Nur noch ein paar letzte Stationen mit der Loop Line zu meinen Tatami-Matten.

Bahnsteigblick Osaka station

Bahnsteigblick Osaka station

Sprache und Sprechen – mit Ohr und Bild

17.03. Unter meinem einfach strukturierten japanischem Raum, der mir Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer ist, was ihn dann leider wieder seiner japanischen Klarheit beraubt, wird seit meiner Ankunft an der Gestaltung eines Cafés, das am Abend auch als Bar funktio- nieren soll, gearbeitet. Die Arbeiten werden zum Teil von der Betreiberin, manchmal gemeinsam mit ihrer älteren Schwester, und einem Schreiner getätigt, zu unregelmäßigen Zeiten und Tagen. Heute begannen Schreiner und Betreiberin schon gegen 8.30 Uhr mit Gesprächen und schlurfendem Hin- und Hergelaufe. Zu mir hinauf dringt dann ein Hörspiel. In hüpfenden Stakkato-Lauten entstehen kurze Sätze, meist aus dem holz- trockenen Ton des Schreiners. Seine Erzählungen werden begleitet von summenden Mmmhmm’s und gedämpft hellen Ohhhs. Dann folgen gerne AHHs, die wieder in Mmhhhs übergehen. Gelegentlich gibt es Bemerkungen der neuen „Haus- herrin“, kurz zumeist. Frauen streuen gerne ein Ahaha ein und lachen oft aufgesetzt laut und für meine Ohren unglaubwürdig. Ich habe, nicht erst heute, den Eindruck, dass die Gestaltung des Raumes erst beim Betreten und zu Beginn eines Arbeitstages besprochen wird. Vielleicht aber wird auch erst einmal durch Austausch von Neuigkeiten ein günstiges Arbeitsklima geschaffen. Wenn ich die steile Holztreppe herunter komme, sieht alles immer nach ernsthafter Tätigkeit aus. Oben erscheint es mir wie ein „Arbeits-Manga“. Vor einigen Tagen habe ich versucht, ein paar japanisch geschriebene Mangas zu verstehen – vergeblich. Die Bilder / Zeichnungen erschlossen mir keine Handlung. Aber sie zeigten mir, dass in Mangas über den Gesichtsausdruck erzählt wird. Es stehen überwiegend Köpfe in den Bildfeldern, die aus- druckslos den Betrachter anschauen und bei denen ich oft Kinn und Mund nicht unterscheiden kann, die aber immer einen sehr eigenen Ausdruck haben. Die ja eigentlich nur aus Umrissen bestehenden Figuren (von Hintergrund ist vielfach nicht viel zu sehen) können sehr individuelle Physiognomien haben; sie sind tatsächlich deutliche Charakterköpfe. In dem mir spontan gekommenen Wort „Arbeits-Manga“ verdichtet sich das Offene, Umrissartige und doch Ausdrucksstarke mit einem nur aus Lauten komponierten Inhalt, der die Wirklichkeit wieder- gibt, mir aber unverständlich ist. Die geräuschvollen und melodischen Sätze der japanischen Sprache hört man als Tourist im Alltag ja kaum oder nur sehr fragmentarisch. In den U-Bahnen oder Zügen, auch auf den Bahnhöfen und Straßen ist es relativ still. (Falls ich mir das nicht bloß einbilde.) Was uns typisch erscheint, ist das häufig sehr akzentuierte „hai-hai“, das vor allem beim Telefonieren auftritt, eine Bestä- tigung, dass man verstanden hat. Die japanischen Wörter lassen sich aus der lateinischen Umschrift recht gut nachsprechen, immerhin so deutlich, dass ,man auf Bahnhöfen und in U-Bahnen verstanden wird. Und viele Wörter sind Zusammensetzungen (manche ähnlich lang wie im Deutschen), die sich zum Verständnis gut wieder auseinander nehmen lassen. Mit ein wenig Mühe und einem besser ausgestatteten Gedächtnis müßte ich schon eine Menge japan- ischer Wörter sprechen können. Ich habe den Eindruck, dass es mir leichter fallen würde, Japanisch zu lernen als Chinesisch. Ob ich es versuche, ist damit noch nicht gesagt. Ich komme gerade aus dem Café der älteren Frauen (alle mit Kittelschürzen wie ich sie noch von meinen Großmüttern kenne, nur farbiger) und muß noch einen Nachtrag machen: Im Café höre ich die musikalischen Intermezzi der Redenden kaum. Da überlagern die Spülgeräusche (in diesen kleinen Cafés wird ständig das Geschirr gespült), die Musik, das Zeitungsrascheln diese kommunikative Sprachmelodig. Die Sätze hören sich dann eher an wie ein Querfeldeingalopp oder ein Motorcross – wobei meine Formulierungen möglicherweise meiner Zuschreibung einer Musikalität dieser Sprache geschuldet ist. Und nun noch ein paas sprechende oder auch sprachlose Bilder aus zwei verschiedenen Mangas.   Manga2_1

Manga1_2Manga1_1

 

 

Manga1_3

 

 

 

 

 

 

Manga2_3

Junge Väter in Osakas Chinatown

9.03.

Ein Ausflug nach Kobe: zwei Ausstellungen und ein Gang durch die Chinatown. Das chinesische Viertel besteht vor allem aus einer langen Straße mit aneinander gereihten Lokalen und Ständen, die aufgepäppten Garküchen gleich kommen. Es war Sonntag und die Japaner drängten durch die verstopfte Straße, fröhlich, laut, lachend und essend.

Osakas Chinatown am Sonntag, 8.03.15

Osakas Chinatown am Sonntag, 8.03.15

Ich achtete weniger auf die Essenden, nachdem ich einige Väter mit „umgehängten“ Kleinkindern gesehen hatte.
Vor zwei Tagen hatte ich einen älteren Artikel von Jörg Kruth* zu „Gedanken über die Zukunft der Familie in Japan. – Eine Studie vorehelicher Partnerschaften“ (2005) gelesen, in der er Interview-Informationen aus der Jahrtausendwende aufarbeitete. Er stellte fest, dass die jungen Leute (Studierende und Mitarbeiter eines Museums) gerne gemeinsame Verantwortung für das Leben und die Kinder übernehmen wollten, die Wege ihnen jedoch noch unsicher und unvertraut waren.
Ich traf nun auf junge Väter, die offensichtlich alle allein mit ihren Kindern unterwegs waren und dabei sehr zufrieden wirkten. In den eineinhalb Jahrzehnten scheint sich da einiges gewandelt zu haben, denn Ende der 1990er Jahre wagten junge Paare es noch nicht, in der Öffentlichkeit ihre Vertrautheit zu zeigen. Jetzt zeigen Väter, dass sie eine andere, als die traditionelle Rolle in der Familie übernehmen wollen und können.
Ich habe mich sehr über diese Zeichen gefreut. Gerne hätte ich alle jungen Väter fotografiert, die mir während des Gangs durch China- town über den Weg liefen.

Jörg Kruth ist Japanologe und wurde 2008 in Köln promoviert.

Einige der jungen Väter:

Chinatown_2Chinatown_5

 

 

 

 

 

 

Chinatown_4

Bel paese – Touristen denken nur an Käse

8. – 10.04. 2014  Rovereto im Trentino    1. Teil
Als wir nach einer zehnstündigen Zugfahrt ausstiegen, entfuhr mir der Satz „Und hier wollten wir hin!?“.

Ein recht trostloser Bahnhof empfing uns, er erinnerte mich an den früher mal durch 400 Passagierzüge stark freqentierten Bahnhof von Wanne-Eickel. Heute versinkt er ins Grau und Grauen.

Ich kam mit mehr Melancholie als Abenteuerlust an.

Bahnhof Rovereto: Eigentlich signalisieren diese Maschinen Aufbruch, ich sah aber nur Abbruch

Bahnhof Revereto: Eigentlich signalisieren diese Maschinen Aufbruch, ich sah aber nur Abbruch

Der Weg zum Hotel war nicht weit, der Corso Rosmini eine verschlafene Prachtstrasse, die Häuser respektabel in gründerzeitlichem Gewand und der Empfang im 4-Sterne-Hotel trotz Nebensaisonspreisen sehr zuvorkommend.

Ein erster Rundgang durch die nahen Strassen vermittelte eine sympathische Atmosphäre. Wieder Eingewöhnen in das Kaffeetrinken im Stehen.

E§s war sonnig + frühlingswarm, doch diese Bar musste man drinnen geniessen

Es war sonnig + frühlingswarm, doch diese Bar musste man drinnen geniessen

Lässt man sich mit em Gang der Einwohner treiben, werden die Strassen rasch vertraut. Da braucht es schon nach dem ersten Durchstreifen Abenteuerlust, die Wege ins „Hinterland“ zu betreten.

Erst einmal zog mich auf der Einkaufsstrasse Via Garibaldi dieses farbenfrohe Schaufenster immer wieder an. So neonfarben schön kann das Leben sein.

 

Schaufenster in Italien sind immer wieder ein ästhetischer Genuss; sie sind verspielt und durchaus auch anzüglich. Sie bleiben dennoch in der gesellschaftlichen Balance (auch wenn Berlusconi die arg strapaziert hat).

Leider bewegten sich Dessous und Kleid nicht

Architekturen bilden die Runzeln und Falten eines Stadtgesichts. Sie sind nicht unbedingt liebenswert, doch immer sprechend.

Die Spaziergänge durch die Straßen waren allem gewidmet, was eine Stadt ausmacht, vor allem natürlich der Architektur. Das 19. Jahrhundert war prägend für das Gesicht dieser Stadt, aber es war nie nur diese Mode. Auf mediterane Weise spielten man gern mit Altem und noch Älterem. Da stand dann dazwischen auch eine Turnhalle mit deutlich faschistischer Linienführung, eng an eine Schule glehnt, die der Architektur Erich Mendelsohn einiges abgesehen hat.

Eine Sporthalle aus der Zeit des ital.Faschismus

Eine Sporthalle aus der Zeit des ital.Faschismus

Bauhaus- oder Nachkiregszeit?

Bauhaus- oder Nachkiregszeit?

 

 

 

 

 

Beide Gebäude sind wuchtig gebaut, sind Nachbarn an parallelen Strassen und bleiben unaufdringlich. Hier brüstet sich niemand mit einer Ideologie.

Jede Straße scheint ihr eigenes Binnenklima zu haben. Die Beispiele liegen alle nur fünf bis höchstens zehn Gehminuten auseinander.

Wenn Fenster zueinander reden...

Wenn Fenster zueinander reden…

In dem Sparkassengebäude am Ende des Corso Rosmini wird die gute alte Zeit beschworen

Die wunderbaren Blumen-und Flechtgirlanden sind gefaked, sie versetzen das Sparkassengebäude am Ende des Corso Rosmini in einen Traum von der guten alten Zeit.

Die 1970er Jahre in weisse Watte gepackt

Die 1970er Jahre in weisse Watte gepackt

Der Eingang zu einer Entbindungsklinik - wenig einladend

Der Eingang zu einer Entbindungsklinik – wenig einladend

 

 

 

 

 

 

Nicht die Architektur verwirrt die Sinne, wenn man durch die Strassen schlendert, eher die sich übelöagernde Ornamentik der ästhetisch verbrämten Sicherheitsgelüste.

Es folgt ein zweiter Teil.