Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014

Das junge Leben zwischen Oktogon, Blaha Luiza ter und Deák ter. Hier ein Hostel in einem riesigen Jugendstilhaus
Sonntag
Neidisch von einem Vorabendspaziergang zurückgekommen. Es sollte nur ein kurzer Gang zum Liszt-Haus, der Musikakademie, sein und vielleicht noch ein paar Straßen drumherum. Mehr wurde es auch nicht, aber es waren dann doch zweieinhalb Stunden und es war ein eigenes, ein neues Viertel. Geht man die Kertész utca weiter und überquert die Kiraly gibt es schlagmals keine Toursiten mehr und die meisten Häuser haben noch grau-schwarze und abgebrök- kelte Fassaden.
Dem Empfinden nach war ich wieder in der Dresdner Neustadt um 1990. Es waren große, vom Eindruck her schwere Miethaus-Fassaden, die zum Teil noch deutlich vor jeglichem Jugendstileinfluß lagen. Es sind Vorstadtstraßen, die hier aber, wie im Westberlin der 1960er fast ein neues Zentrum bilden. Diese riesigen, dunklen Fassaden sind nur etwa 200 bis 300 m von der Andrássy ut. entfernt und die ist so etwas wie es der Kudamm vor der Vereinigung in Berlin war: die bürgerliche Vorstadt als neues Zentrum.

Eine Fassade in einer der Seitenstraßen, auch dahinter verbirgt sich ein Hostel. Die Tür öffnet zu einem „Trümmer-Café“, einem riesigen Innenhof
Was mich neidisch machte, war das Flair eines jungen Lebens, das hier in den düsteren Straßen herrschte. Man sah nur junge Leute und vor allem die, die das Jungsein lebten. Zahlreiche Bars, Kneipen und Restaurants hatten Türen und Fenster ge- öffnet, ohne dass dadurch die Fassaden wirklich durchlässiger geworden wären. Die Kommunika- tion auf den Straßen war Hinweis auf etwas, das sich an Tischen und auf Hockern in diesen scheinbaren Ruinen abspielte – und das war der Anfang einer Zukunft. Diese Worte muß ich wählen, damit meine Gefühle zu den Bildern passen.

Einefache Räume fantastisch mit Sperrmüll einge- richtet. Die Preise vergleichen sich dennoch mit ’norma- len‘ Kneipen
Sauber sieht die Gegend nicht aus und dem Modestil angepasst laufen die jungen Frauen und Männer nicht herum. Im Grunde waren die Straßen am Sonntag zwischen 16.00 und 18.00 Uhr erstaun- lich still. Wenn ich hinter die Fassaden schauen konnte, weil mal eine Tür zum Treppenhaus und Innenhof offenstand, dann versprach der Blick kein lichtes Leben im Sonnenschein. Und doch verspürte ich Lust, hier für einige Monate ein- zuziehen, um am Leben teilzuhaben. Es unterscheidet sich mehr als nur graduell vom touristischen „Hopp on Hopp off“ der Bustouren.

Mit allen Anspielungen wird hier hantiert, ob es einen politischen Hintergrund hat, bleibt eine offene Frage
Hier würde ich das tatsächliche Leben von Budapests Jugend erfahren. Aber man muss allein hierher kommen, nur dann ist man Teil dieses Lebens und wird auch so erlebt. In manches Restaurant oder Café wäre ich hinein gegangen, nicht um zu wissen, wie es dort schmeckt, sonst zu schmecken wie es sich dort lebt. Heute hätte es sicher den „Traum“ zerstört und das einfache, leckere Abendessen ‚zu Hause‘ aus Kartoffel-Käse Pfanne und Salat hätte ich nicht mit Lust zubereitet.