Texte und Gedanken zwischen 31.08. und 19.09.2014
Donnerstag
Die zweite Neuheit in Budapest ist für mich der Zoo. Vom Zoo kannte ich Fotos mit starkem Jugendstilgepräge, deren tatsächliche Erschei- nung mich bereits im vergangenen Jahr eher abschreckte als anzog. Aber dieses Mal sollte es ein Besuch sein, vor allem auch, weil die Wohnungseignerin mir im Vorfeld mit viel Enthusiasmus vom Zoo erzählte. Fotos in Prospekten und Bücher zeigen die Welt gerne von einer Schokoladenseite. Nach dem Besuch habe ich mir alle greif- baren Aufnahmen nochmals angesehen: die Wirklichkeit sieht tatsächlich nicht so aus. Sie ist weitaus nüchterner und falten- reicher.
Nicht nur das Eingangstor und das Elefantenhaus haben ein eher trauriges Jugendstilgesicht, der gesamte Zoo – dieses Areal ist ein botanischer Garten und ein Zoo zugleich, sagen nicht nur die Prospekte, sondern gern auch die jungen Leute an der Information – ist staubig und trostlos. Im Elefantengehege sah man einen Ele- fanten, der sich verhielt wie ein Psychiatrie-Langzeitpatient – Rüssel und Schwanz leicht schwingend, vor und zurück sich wiegend, aber im wesentlichen standbildhaft im grauen Sand, umgeben von ge- schälten Baumleichen. Von Grün war im Auslaufbereich des Tieres nichts zu sehen – in anderen Gehegen auch nicht.
Irritierend war, dass drei indische Elefanten in einem afrikanischen Elefantenhaus lebten. In der gesamten Umgebung der durchaus weitläufigen Architektur gab es nur Hinweise auf Afrika, immer wieder auch mit Abbildungen von Elefanten. Kein Hin- weis auf indische Bewohner im afrikani- schen Haus.
Der vorherrschen- de Eindruck der Großtier-Gehege war der von Trostlosigkeit. Als witziger Lichtblick blieb ein Oran Utang, der im satten Grün einer Wiese lag, an einen Baum angelehnt, mit dem Rücken zum Drahtzaun mit den beobachtenden Menschen. Über den Kopf hatte er sich einen an den Rändern ausgerissenen Pappkarton gestülpt, der ihn vor der Sonne und den Blicken der Besucher schützte. Er betrachtete seine großen Hände und schob gelegentlich den Karton ein wenig zurecht. Mir schien, er wußte genau wie er sich plaziert hatte und was er damit ausdrücken wollte.
Beim Betrachten meiner Fotos fand ich dann noch zwei weitere „Lichtblicke“: erstmals sah ich ein in der Mittagssonne ruhendes Nashorn – auf der Seite liegend – und ein Faultier, das rücklings auf einer Fensterbank lag, den Besuchern, die an ihm nahe vorbeigehen konnten, den wuscheligen Bauch zeigend. Gerne hätte ich das Faultier gekrault, aber die großen Klauennägel hielten mich davon ab.
Den Abschluß sollte ein Kaffee im alten Palmenhaus von 1912 bringen; den brachte eine ruhige, mollige, junge Ungarin, die sich dem Zoo-Rythmus abgepasst hatte, deren mangelnde Spritzigkeit aber immer noch hoffnungsvoller wirkte, als die recht simple Stahl-und-Glas Konstruktion. Dabei waren Palmenhäuser vor 120 – 520 Jahren der ästhetische Clou der noch jungen Technologie. Alle großen, wichtigen Städte auf dem Kontinent können mit ihren Beispielen protzen, Budapest nicht. Dafür fährt aus dem Stadtzentrum bis vor die Tore des Zoos die erste U-Bahn auf dem Kontinent immer noch mit ihren alten Wagen (zumindest im vergangenen Jahr, denn in diesem Jahr waren es bisher baugleiche, aber neuere Waggons).